Mathias Boever

Die Landwirtschaft im Kanton Clerf

Wer erinnert sich nicht an die Verse von Michel Lentz:

« An d’Dirfer kuckt, do wunnt e freie Bauer
Hie stét sech gudd, well kräfteg schafft seng Hand »

Wir haben diese Verse gesungen, 1939 in der Primärschule, gelegentlich der Feier zum 100-jährigen Bestehen unserer nationalen Unabhängigkeit. Als Bauernkinder haben wir uns damals keine großen Gedanken über den « freie Bauer » gemacht. Aber wenn man heute über den Liedtext nachdenkt und sich in die Zeit zurückversetzt, in welcher er geschrieben wurde – Mitte des vorigen Jahrhunderts – so fragt man sich, ob Lentz nicht doch zuviel Romantik um den freien Bauernstand gewoben hat. Wie gut stand es nun wirklich um die Mehrzahl der Öslinger Kuh- und Ochsenbauern? Gewiß hat es damals auch schon Großbetriebe gegeben, aber ihre Zahl war mehr als bescheiden.

Was warf die Arbeit des Durchschnittsbauern ab, damals, als man die Thomasschlacke noch nicht kannte, wo als Stickstoffdünger nur der kleine Stallmisthaufen zur Verfügung stand? Die Erträge in Feld und Stall waren karg, und gering war auch das finanzielle Polster gar mancher Betriebe.

  • Dann bahnte sich auch im Ösling der Fortschritt in der Landwirtschaft an. Die Thomasschlacke dürfte sonder Zweifel am Anfang dieser Entwicklung stehen, zusammen mit dem allgemeinen industriellen Aufschwung des Landes und mit dem « Encadrement » der Landwirtschaft durch öffentliche Dienste und besondere Gesetze. Erwähnen wir nur:
  • die Gründung der Ackerbauverwaltung und der Ackerbauschule im Jahre 1883,
  • der Erlaß, ebenfalls 1883, des Gesetzes betreffend die Anlage von Feldwegen, von Dränagen und Bewässerungsanlagen durch freie oder autorisierte Syndicate,
  • die Veröffentlichung des Gesetzes betreffend die Gründung von landwirtschaftlichen Genossenschaften, im Jahre 1900.

Dieses Gesetz hatte die Gründung einer Vielzahl von Lokalvereinen und Molkereigenossenschaften zur

Folge. Mit dem Aufschwung der gesamten Produktion, besonders aber der Vieh- und Milchwirtschaft, verbesserten sich die Einnahmen in der Landwirtschaft. Zugleich kam auch die Mechanisierung der Betriebe langsam in Fluß. Vorerst erfolgte noch die progressive Umstellung der Zugkraft vom Ochsen- auf das Pferdegespann. Dann kamen Mäh- und Dreschmaschine auf, letztere angetrieben durch Pferdekraft mittels des « Manéisch ». Auch die Lohndrescher, angetrieben durch die Dampflokomotive, später durch den Benzinmotor, fuhren während der Wintermonate durch die Dörfer. Eine weitere Entwicklung erfolgte in den zwanziger Jahren mit der Elektrifizierung der Dörfer und der Einführung des Mähbinders. Allerdings erlitt dann die Landwirtschaft, genau wie alle übrigen Wirtschaftszweige, eine starke Einbuße durch die weltweite Wirtschaftskrise der Jahre 1929-33.

Parallel mit der in diesen Zeilen skizzierten technischen Entwicklung der Landwirtschaft bis zum zweiten Weltkrieg verlief aber bereits der Rückgang der Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe, stimuliert insbesondere durch den Aufschwung der Eisenindustrie im Süden des Landes.

Leider sind mir keine Zahlen bekannt betreffend die Struktur der Landwirtschaft des Kantons in den einzelnen Zeitabschnitten des vergangenen Jahrhunderts (etwa um 1850, 1875, 1900). 1907 gab es in den fünf Nordkantonen noch etwa 6.126 Vollerwerbs- und 6.698 Nebenerwerbsbetriebe. 1950 zählte der Norden insgesamt nur mehr 5.736 Betriebe. Dies entspricht einem theoretischen Rückgang von 165 Betrieben pro Jahr seit 1907.

Konzentrieren wir uns nun auf die letzten 30 Jahre. Wie hat sich in dieser Zeit das Bild der Landwirtschaft im Kanton Clerf geändert? Ab 1950 stehen uns eine Menge statistischer Daten zur Verfügung, die es uns erlauben, den Wandel in der Landwirtschaft aufzuzeichnen.

Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe im Kanton
Clerf
Größenklassen
Zahl der Betriebe
1950
1962
1980
kleiner als 5 Ha
301
170
59
von 5-10 Ha
472
279
69
10-20 Ha
541
532
121
20-30 Ha
164
200
120
30-50 Ha
44
56
194
50 Ha und größer
5
4
61
Total
1527
1241
617

Diese erste Tafel zeigt, daß in den vergangenen 30 Jahren pro Jahr 30 Betriebe im Kanton verschwunden sind.

Die Aufteilung der landwirtschaftlichen Nutzfläche
auf die Betriebsklassen im Jahre 1980
Größenklassen
Gesamtnutzfläche
Zahl der Betriebe
kleiner als 5 Ha
147,1 Ha
59
von 5-10 Ha
532,0 Ha
69
10-20 Ha
1810,7 Ha
121
20-30 Ha
2900,9 Ha
120
30-50 Ha
7660,4 Ha
194
50 Ha und größer
3856,4 Ha
61
Total
16907,5 Ha
617

Gemäß dieser Tafel sind von 617 Betrieben 375 größer als 20 Ha. Diese bewirtschaften insgesamt 14417,4 Ha oder 85,3% der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche des Kantons. Die mittlere Betriebsgröße beträgt 27,4 Ha. 1950 bewirtschaftete der Durchschnittshof nur 11,7 Ha.

Entgegen allen Erwartungen ist auch die Nebenerwerbslandwirtschaft noch relativ stark vertreten, wie die nachstehende Tafel zeigt.

Die Nebenerwerbslandwirtschaft im Jahre 1980
Größenklassen
Bewirtschaftete Gesamtfläche
Zahl der Betriebe
kleiner als 5 Ha
66,5 Ha
23
von 5-10 Ha
265,4 Ha
35
10-20 Ha
414,5 Ha
29
20-30 Ha
228,3 Ha
10
30-50 Ha
178,8 Ha
5
Total
1153,5 Ha
102

Wir haben bereits festgestellt, daß seit 1950 der Kanton Clerf mehr als 900 Bauernbetriebe verloren hat. Mit dem Verlust dieser Betriebe leerten sich auch die Dörfer. Wieviele Bauernhäuser stehen heute im Kanton leer, verfallen, werden abgerissen?

Wie geht nun die Entwicklung der Landwirtschart weiter? Das vorliegende statistische Material gibt zu keinerlei Optimismus Anlaß. Wir werden in den kommenden 10 bis 20 Jahren noch weitere Bauernbetriebe verlieren, da bereits heute in manchen Höfen kein Nachfolger vorhanden ist. Außerdem beziehen viele Betriebsleiter bereits die Altersrente, wie die folgende Tafel zeigt.

Landwirtschaftliche Betriebe, in welchen der Betriebsleiter
bereits die Altersrente bezieht
Größenklassen
Bewirtschaftete Gesamtfläche
Zahl der Betriebe
kleiner als 20 Ha
854,6 Ha
96
20-30 Ha
644,8 Ha
25
30 Ha u. größer
975,9 Ha
23
Total
2475,3 Ha
144

Von diesen 144 Betrieben dürfte in 10 Jahren der größte Teil verschwunden sein, insbesondere jene unter 20 Ha Nutzfläche. Was die größeren Betriebe betrifft, so bleibt möglicherweise ein Teil derselben bestehen, da hier ein Hoferbe vorhanden ist, der jedoch 1980 den Hof noch nicht übernommen hatte.

Aus einer vom « Cliärrwer Kanton » im vergangenen Jahr in allen Gemeinden des Kantons durchgeführten Untersuchung geht hervor, daß der Anteil der Bauern an der aktiven Bevölkerung noch zirka 17% beträgt und somit weit über dem Landesdurchschnitt liegt. Dies könnte zu der irrigen Auffassung führen, daß der Kanton Clerf in Punkte Landwirtschaft sich nicht zu beklagen braucht. Dem muß entgegengehalten werden, daß angesichts des allgemeinen Rückgangs der Bevölkerung und somit vieler wirtschaftlicher Aktivitäten die Lage im Kanton Clerf keineswegs rosig ist. Es liegt auf der Hand, daß Anstrengungen unternommen werden müssen, um diese Aktivitäten zu revitalisieren, einschließlich in der Landwirtschaft.

Allgemein kann gesagt werden, daß die Landwirtschaftspolitik aller bisherigen Nachkriegsregierungen des Landes auf die Förderung der bäuerlichen Familienbetriebe ausgerichtet war. Auch die gemeinsame Agrarpolitik der EWG verfolgt dieses Ziel. Leider konnte das fundamentale Prinzip dieser Politik – den Landwirten ein mit anderen Berufen vergleichbares Einkommen zu gewährleisten – global gesehen nicht erreicht werden. Man kann also durchaus den jungen Menschen verstehen, der den elterlichen Hof nicht weiterführen will, da die Entlöhnung seiner Arbeit ihm nicht ausreichend erscheint. Desweiteren sind sich die jungen Leute der hohen Investierungen bewußt, die für Modernisierung und Erweiterung der Betriebe vorgenommen werden müssen. Vergessen wir nicht, daß der Bauernbetrieb heute einen weit größeren Bedarf an Geldmitteln hat als vor etwa 30 Jahren. Er ist ein kapitalintensives Unternehmen geworden, dessen lebendes und totes Inventar den Betrag von mehreren Millionen erreicht. Die notwendige Amortisierung und Verzinsung dieses Kapitals stellt einen ansehnlichen Teil des jährlichen Gesamteinkommens dar.

Die nachstehende Tafel gibt Aufschluß über den Viehbestand der Bauernbetriebe im Kanton Clerf sowie über den Park der wichtigsten Maschinen und der technischen Einrichtungen auf dem Hof. Aus den aufgeführten Zahlen kann man folgern, daß 1980 im Viehbestand, in den Maschinen und Einrichtungen weit über eine Milliarde investiert ist.

1950
1974
1980
Pferde
2187
136
132
Milchvieh
8286
12010
14033
Jung-/Fettvieh
10397
20568
19515
Schweine
12714
16177
16164
Traktoren
132
1194
1193
Heupressen
0
612
547
Mähdrescher
0
348
336
Entmistungsanlagen
0
222
332
Melkanlagen
143
711
517
Milchkühlanlagen
3
254
323

Trotz all dieser Schwierigkeiten, mit denen die Landwirtschaft seit Jahren konfrontiert ist’, gibt es immer noch junge Menschen, die bereit sind, den Beruf ihrer Eltern weiterzuführen. Zu einer Zeit, wo die Arbeitsplätze außerhalb der Landwirtschaft seltener geworden sind, wo außerdem hunderte von Arbeitsplätzen durch Betriebsschließung und Rationalisierung der Produktionsmethoden gefährdet sind, ist die Förderung nicht nur der entwicklungsfähigen sondern auch der entwicklungswilligen Bauernbetriebe vorrangige öffentliche Aufgabe. Dazu gibt es gottseidank bereits ein gewisses gesetzliches Instrumentarium, das hier kurz erwähnt werden soll:

  • Das Gesetz über den aufgeschobenen Lohn der in der Landwirtschaft tätigen Jugendlichen,
  • Das Agrargesetz,
  • Das Gesetz betreffend die Flurbereinigung,
  • Das Gesetz betreffend die Erbteilung in der Landwirtschaft,
  • Das gesetzliche Reglement betreffend die Förderung der Hofübernahme durch die junge Generation.

Ein Gesetzesprojekt betreffend die Regelung der Pacht in der Landwirtschaft ist zur Zeit dem Parlament vorgelegt.

Abschließend möchten wir bemerken, daß die Leitung eines Bauernbetriebes heute große Anforderungen an den Betriebsleiter stellt. Eine gute schulische Ausbildung des jungen Bauern ist demnach erste Voraussetzung für den späteren Erfolg im Beruf.