René Maertz
Aufs Wasser geschrieben – oder in den Wind?
Beides ist richtig: im Hinblick auf die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation in den Nordkantonen haben Zeitungsartikel, Interventionen in der Kammer, Versammlungen und Wahlreden bis heute rein gar nichts eingebracht.
Im Gegenteil: manchmal scheint es, als helfe der Staat gewissenhaft nach, insbesondere die Nordspitze weiter zu benachteiligen und zur kompletten sozio-ökonomischen Bedeutungslosigkeit, zum Untergang, zu verdammen. Oder wie könnte man anders die allmähliche aber konsequente Überführung der kantonalen Verwaltungen in größere Zentren verstehen?
Es mag wohl Aspekte geben, die solche Verwaltungs-transferts vordergründig zu rechtfertigen scheinen. Beim Versuch jedoch, sich darüber ein ausgewogenes Urteil zu bilden, stößt man sich immer wieder an den menschlichen Problemen, die von dieser Tendenz heraufbeschworen werden. Desweiteren kann man kaum verstehen, wieso die langen und zugleich zeitraubenden Anfahrtswege des Verwaltungspersonals wirtschaftlich günstiger sein sollten.
Wir meinen, die Verantwortlichen täten gut daran, in Sachen Zentralisierung umzudenken. Dadurch nämlich, daß der Staat seine Verwaltungen in einem bisher vernachlässigten Landesteil belassen würde, gäbe die Regierung immerhin ein erstes und unübersehbares Zeichen ihres guten Willens. Und zugleich vermittelte sie einer vom Aussterben bedrohten Gegend wieder ein Quentchen Hoffnung.
Dies soll nicht heißen, daß die Öslinger an der Einsicht und dem guten Willen der Regierungsmitglieder und der Norddeputierten zweifelten. Manche Politiker zeigten sich für unsere speziellen Probleme überaus aufgeschlossen. Desweiteren wissen wir sehr wohl, daß einiges für die Nordspitze getan wird, z.B. was den Straßenbau oder die einheimischen Behinderten betrifft (Foyer Eisléker Heem).
Was aber verhindert die Schaffung neuer Arbeitsplätze, um die der nördlichste Kanton des Landes nun schon seit Jahrzehnten bittet?
Wir glauben es zu wissen: den Menschen ist nun einmal das Hemd näher als der Rock. Und dies gilt auch für unsere Volksvertreter. Wir behalten uns vor, diesen Gedanken einmal weiterzudenken.
Im Laufe der Jahre hat fast jeder Norddeputierte in öffentlicher Kammersitzung auf die Probleme des Nordens hingewiesen. Nun darf man fragen: war das überzeugter Einsatz für die Bevölkerung oder bloß Pflichtübung? Eines jedenfalls steht fest, in Diekirch, Ettelbrück und Wiltz gab es neue Arbeitsplätze. Der Kanton Clerf aber ging leer aus.
Umso bemerkens- und begrüßenswerter scheint uns deshalb die Intervention des Norddeputierten René Hübsch vom 29.10.81 auf der Kammertribüne. Nachdem er die Industrien erwähnt hatte, die im Süden und im Zentrum des Landes neu geschaffen wurden, nachdem er von den Industriezonen in den Räumen Diekirch, Ettelbrück und Wiltz gesprochen hatte, denen man zum Teil nationalen Charakter zugesteht, führte er textuell weiter aus: « Ech wëll awer och drop hiweisen, dass et zwee Kantone gët, déi a punkto Aarbechtsplaazen regelrecht ënnerentwéckelt sin, an do ass d’Situatioun dramatesch: Dat as Clierf an et as Réiden. Am Clierfer Kanton sin eng ganz Rei Gemengen, déi gäre bereet wiren, fir klenger Betriiber bei sech opzehuelen… wann et och nëmmen Handwierksbetrieber sin mat enger halwer Dose Leit, well wat d’Bevölkerung méi ofhöllt, wat och d’Wirtschaft méi zréckgeet, a wa mir d’Entvölkerung vum Clierwer Kanton zum Beispill wëlle stoppen, da musse mer kucken, dass dat wirtschaftlecht Réckgrad gestäerkt gët, an dat kënne mer nëmmen durch d’Aplanze vun neie Betriiben.
…Eng zweet Fro stellt sech, ob een nët soll drop ausgoen, fir haaptsächlech a systematesch déi Industrien ze ënnerstëtzen an auszebauen, déi eng matière première verschaffen, déi hei am Land produzéiert gët. Ech denken do zum Beispill un Holz. »
Nun geben diese Auffassungen Anlaß zu einiger Hoffnung, und die Öslinger sind dankbar dafür. Doch bedürfen sie einer Anzahl von Ergänzungen, die sich im Laufe der Jahrzehnte als entscheidend für die gesamte Problematik der Nordkantone erwiesen haben.
Zum einen, definiert sich der Nordkanton, im Gegensatz zu allen anderen Kantonen, durch seine Entfernung von den Macht- und Wirtschaftszentren. Distanz und Klima sind nicht zu übersehende gravierende Handicaps.
Zum ändern kennen wir das seit Jahren vorgeschobene Argument, die Arbeitnehmer der Nordspitze könnten sehr wohl ihre Arbeitsplätze in den größeren Zentren haben, zugleich aber auch den Wohnsitz in ihrer engeren Heimat beibehalten. Man hat ihnen nämlich seit jeher schon Mobilität nach allen Seiten hin zugemutet. Nun hat aber die Erfahrung gelehrt, daß eine lebenslange Mobilität des einheimischen Arbeiterpotentials nur auf eine verschwindende Minorität zutrifft. Der Arbeitnehmer trachtet nämlich danach – und dies ist sein gutes Recht – möglichst nahe am Arbeitsplatz zu wohnen. Somit intensiviert der lange Weg zum Arbeitsplatz unter den für jeden Kenner des Nordkantons evident ungünstigen klimatischen Bedingungen – im Vergleich zu anderen Gegenden des Landes – die Abwanderung. Kurzum, all jene, die an das Postulat von der Zwangsmobilität des Öslinger Arbeitnehmers geglaubt und die diesem Postulat Hilfestellung gegeben haben, sind für den demographischen Sturz und für die ökonomische Auflösung des Kantons mitverantwortlich. Und wer noch weiterhin daran festhält, der beweist, daß er unsere Gegend völlig abgeschrieben hat.
Ein anderes Argument, das man immer wieder ins Feld führt, wenn es gilt, neue Industrien vom Nordkanton festzuhalten, gibt sich etwa so: es ist unmöglich, neue Arbeitsplätze zu schaffen, wo es keine oder doch nur sehr wenige Arbeitskräfte gibt. Schon vor fast 20 Jahren, als man in Clerf die einzige bedeutendere Industrie (Cleveland Crane & Engineering S.A.) schuf, konnte man diese Stimmen hören. Sie hatten Unrecht!
Übrigens gibt es neuerdings Beispiele genug, die das oben zitierte Argument völlig auf den Kopf stellen; der Beweis ist nämlich erbracht, daß Arbeitsplätze auch Arbeitskräfte anziehen.
All diese entscheidenden Zusammenhänge wird man bei der gründlichen Diskussion über das Schicksal des Kantons in den Vordergrund stellen müssen.
Damit nun all diese Fragen, Interventionen und Bitten auch Resultate zeitigen, wird man die Probleme in ihrer ganzen Tragweite an die Verantwortlichen herantragen müssen.
So wird der « Cliärrwer Kanton » in den kommenden Wochen die Abgeordneten des Nordbezirks sowie die Bürgermeister des Kantons zu einer Zusammenkunft einladen, bei der über die wirtschaftlichen und demographischen Probleme des Nordkantons gesprochen und anschließend ein Papier ausgearbeitet werden soll, das der Regierung unterbreitet wird.
Wir hoffen, daß von dieser Versammlung ein Impuls ausgehen wird, den wir möglichst stark wünschen.
Gebratene Schneebälle und Eintagsfliegen haben wir zur Genüge bekommen. Nun möchten auch wir an der nationalen Entwicklung teilhaben. So wie es der Sinn für Gerechtigkeit erlaubt. Wir werden nicht müde werden, ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen allen Regionen unserer Heimat zu verlangen. Und das auch in schwerer, wenig versprechender Zeit.