René Maertz
Impfen wir uns gegen die Resignation
Die Diagnose ist eindeutig. Sie ist auch einmütig erstellt: das wirtschaftliche und soziale Gefüge des Nordkantons ist in hohem Maße gefährdet. Dringende Hilfsmaßnahmen sind erforderlich. Andernfalls sind Zerfall oder Zusammenbruch nicht auszuschließen.
Doch was ist der Wert einer Diagnose oder Therapie? Die Therapie beruht auf dem schnellen und gezielten Einsatz der Hilfsmaßnahmen. Ein Befund ohne seriöse Heilmaßnahmen ist ein privilegierter Nährboden für resignative Erscheinungen.
Angesichts einer relativ zügigen Analyse der sozio-ökonomischen Situation im Nordösling und der vergleichsweise mäßigen Aktivität auf dem Gebiet der wirtschaftlichen und sozialen Wiederbelebung sind die kritischen Fragen mancher Einwohner durchaus verständlich. Handelt es sich hier nicht um eine virtuos gehandhabte Taktik des Hinhaltens? Vielleicht um das Fehlen einer Strategie? Oder aber verlangen Definition und Realisierung von Notmaßnahmen seitens der Regierenden ein solchermaßen vorsichtiges Taktieren? Das vornehm beredte Schweigen einiger ansonsten wenig sprachgestörter Leute könnte man als Hinweis dafür gelten lassen, daß von ihrer Seite wider Erwarten kaum Unterstützung zu erwarten ist. – Darüberhinaus geben die nicht wegzuleugnenden gesellschaftspolitischen Versäumnisse der vergangenen Jahrzehnte Anlaß zu zweifeln – zum verzweifeln wohl noch nicht.
Doch liegt letztlich das zutiefst Beunruhigende in der Erkenntnis, daß das Bemühen, Planungen und deren Realisierung hier voranzutreiben weit schwächer ist als jene Impulse, die in ändern Landesteilen zu konkreten Resultaten geführt haben. Wohl hat es auf dieser alten Erde soviele Landstriche gegeben, die sich zutode gelebt haben, doch die Frage ist bloß, wann das Sterben ein Ende hat.
Diese Überlegungen sollten nun aber keineswegs bedeuten, daß es während der vergangenen Monate keine positiven Aspekte zu verzeichnen gegeben hätte. Aus Letzteren wagen wir noch immer die Vernunft und die Verläßlichkeit der Regierenden herauszulesen – und auch jenen moralischen Imperativ zu gesellschaftspolitischem Ausgleich und Neugewichtung.
Da der “CLIÄRRWER KANTON” in nächster Zeit beabsichtigt, detailliert auf diese Entwicklungen einzugehen, seien hier nur kurz einige wichtige Gegebenheiten angeführt:
- Das neue Gesetz über den sozialen Wohnungsbau hebt die Mindestzahl von Bauplätzen in einem Lotissement im Kanton Clerf auf. Ein erstes, bemerkenswertes Resultat: seit einigen Wochen gibt es in der Gemeinde Wintger zehn Bauplätze mit der obligaten Infrastruktur zu wirklich sozialen Preisen.
- Die von der vorherigen Regierung erstellte « Etude sur le Canton de Clervaux” wurde von der jetzigen Regierung grundsätzlich übernommen. Die Zusicherungen der drei großen Parteien vor der Juniwahl 1984 ebenso wie die im Regierungsprogramm enthalten
- Die « parlamentarische Frage”, die Georges Wohlfart an die Minister für Landesplanung und für Wirtschaft bezüglich der Schaffung eines grenzüberschreitenden Entwicklungspols richtete (cf. 1) und die in der Antwort der Minister enthaltene sehr nüancierte, aber nicht ablehnende Einstellung. Besonders positiv dürfte wohl die deutliche Aussage des Regierungschefs sein: er stellt das Interesse der Regierung an den Entwicklungsproblemen der Nordspitze heraus und bekräftigt die prioritäre Stellung, welche die Regierung dem Fragenkomplex Nordösling zumißt (cf. 2).
- Die Tatsache, daß die Regierung eine « Commission mixte: Gouvernement -Association de Cliärrwer Kanton” ins Leben gerufen hat (cf. 3), ebenso wie die Arbeit dieser Kommission, stellen zweifellos einen Fortschritt dar. In drei längeren Sitzungen in Clerf und in Luxemburg wurden die in der « Etude sur le Canton de Clervaux” enthaltenen Vorschläge, ebenso wie die in den speziell von den einzelnen Ministerien ausgearbeiteten Empfehlungen, sowie die Liste der vom Cliärrwer Kanton erarbeiteten Forderungen als Diskussionsbasis akzeptiert. Die Atmosphäre während der Gespräche war durchwegs gut. Bedauerlicherweise konnte der Vertreter des Wirtschaftsministers, wohl wegen anderweitiger Verpflichtungen, nicht daran teilnehmen. In den allermeisten Punkten wurde Übereinstimmung erzielt.
Um Mißverständnissen vorzubeugen wurde auf Betreiben des Cliärrwer Kanton vereinbart, noch im Laufe des Monats Juli einen vorläufigen Zwischenbericht, der die wesentlichen Ansprüche unserer Vereinigung verdeutlicht, an den Staatsminister und an den Conseil supérieur de l’aménagement du territoire zu senden. Das hat der Vorsitzende der gemischten Kommission, Nicolas Momper, Sekretär der Landesplanung, inzwischen dankenswerterweise besorgt. Die abschließende Synthese der Kommissionsarbeiten soll im September erfolgen. Im Oktober müßte das Schlußdokument in den Händen des Regierungschefs sein.
Wir erleben eine Fülle von Gedanken, Analysen, Überlegungen, Vorschlägen, Forderungen – doch wir sehen kaum Realisationen. Mancherorts macht sich Skepsis breit, Apathie und Lethargie finden ein günstiges Klima.
Doch: « Heilung beginnt mit Hoffnung » wie vom Vater der abendländischen Medizin überliefert. Es liegt an uns, die Erwartungen vernünftig und beharrlich am Leben zu erhalten.
Wenn Menschsein kämpfen heißt, dann müssen wir uns gegen Resignation impfen. – Verhinderer aller Art setzen darauf, daß wir der Hoffnung entsagen.
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In persönlicher Sache sei es mir erlaubt all jenen zu danken, die seit nunmehr sieben Jahren ebenso intensiv wie ehrlich im « Cliärrwer Kanton” zusammengearbeitet haben. Meinem Nachfolger als Präsident unserer Vereinigung wünsche ich vor allem, neben dem erforderlichen Durchhaltevermögen, eine ausgewogene Sicht der gesellschaftsrelevanten Problematik des Nordkantons.
Danken möchte ich auch den Bürgermeistern, Schöffen und Gemeinderäten des Nordkantons, mit denen die Zusammenarbeit zufriedenstellend funktioniert hat.
Vielleicht ist ein Abschied viel einfacher und leichter als ein gewisses Willkommen. Und fast möchte es mir scheinen, als gewähre das Alter neue, faszinierende Anforderungen. – Adieu.