Léon Braconnier

Ein Konzept für das Nordösling?

In keinem andern Land auf dem blauen Planeten liegt die Nordspitze soviele Meilen von der Hauptstadt entfernt wie im rot-weiß-blauen Luxemburg. Ja, wäre das Klima günstiger, unsere nationale Fluggesellschaft hätte längst eine regelmäßige Verbindung zur Abteistadt hergestellt, Clerf mit Touristenbombern beglückt.

Ja, würde die Sonne nicht dauernd desertieren, Clerf hätte einen so exotischen Beigeschmack wie Ibiza oder Teneriffa, brauchte neben Palma und Rhodos nicht zu verblassen.

Allein, von mediterraner Sonne träumen ist Wunschträumen. Die Sonne ist wählerisch, alliiert sich nicht mit dem Erstbesten. So liegt das nationale Ösling ohne Flugverbindung viele, viele Meilen von der Hauptstadt entfernt. Auf jeden Fall viel weiter als Palma. Dennoch ist das Ösling den allermeisten Luxemburgern ein Begriff, fast jedermann weiß Bescheid. Im Ösling übt sich die Tradition im Tiefflug, und während die Idylle mit der ungetrübten Luft flirtet, beten in Clerf die netten Benediktinermönche zu unserem Herrn. Und mitleidig fügt man hinzu, mein Gott, dann haben Sie aber einen weiten Weg.

Assoziationen wie Ösling = Tradition, Idylle, Landwirtschaft und Touristenparadies mögen auf den ersten Blick banale und althergebrachte Klischees sein, mit einem Schein harmloser Heile-Welt-Romantik; vieles, was sich aber in gutländischen Köpfen an Gedankengut über die Nordregion angesammelt hat, könnte einen über das Skurrile hinaus durchaus nachdenklich stimmen.

Zu gerne wird aus der vermeintlichen Traditionswelt hoffnungslose Rückständigkeit, aus der Landwirtschaft bestenfalls idyllische Kulisse für erholungsbedürftige Wochenendler, aus dem Tourismus eine der ganzen Region übers Jahr heilbringende Industrie.

Sich ernsthaft über die augenblickliche Situation oder gar über mittel- und langfristige Zukunftsperspektiven der Nordspitze Gedanken zu machen, scheint für viele ein höchst überflüssiger, kaum nachvollziehbarer Schritt zu sein. Begriffe wie Innovation, Diversifikation, Fortschritt, Infrastrukturen, passen, so scheint es, überhaupt nicht auf das Dach unseres Landes. Festgefahrene Denkschemas sind schwer zu knacken, und mit Klischees können manche Zeitgenossen auf wundersame Weise das Nachdenken ersetzen.

Daß in unserem Klein-Großherzogtum viele junge Leute noch nie im Ösling gewesen, bestenfalls mit dem grünen Zug zur sonntäglichen Wandertour, vielleicht auch einmal beim Schulausflug, mag sein, daß auch dieses nicht so tragisch ist.

So wundert es letztendlich kaum, daß das Ösling im allgemeinen und der Kanton Clerf im besonderen auf dem Markt der Zukunftsplaner bisher vor allem mit altem Landwirtschaftsbrot und billiger Tourismuswurst abgespeist wurden. Und diese starre und sture Haltung, welche über alle anderslautenden Beteuerungen der Verantwortlichen hinaus ihrer inneren Überzeugung vollends zu entsprechen scheint, dieser

Immobilismus ist das eigentlich Tragische:

hier wird der Nordspitze das Recht auf eine vernünftige Zukunft verwehrt. Resolute Schlüsse aus Studien- und Kommissionskonklusionen sind allem Anschein nach immer noch nicht

fällig. Solange auf den Gebieten Landwirtschaft oder Tourismus aber keine spezifischen Initiativen ergriffen werden, um diese wirklich zu einem Trumpf für unsere Gegend wachsen zu lassen, solange Diversifikation und Innovation und somit Arbeitsplätze den Sprung ins Nordösling nicht schaffen, solange bleibt die versprochene Hilfe Geschwätz.

Am Beispiel der Nordstraße ist wieder einmal deutlich geworden, daß man sich keineswegs scheut, immer neue Gipfel der Lächerlichkeit zu erstürmen, mit wehenden Fahnen und jauchzenden Trompeten. Über Nacht erkühnen sich eine Menge zum größten Teil selbsternannter Experten, ganz burschikos über Notwendigkeit und Art dieser neuen Verbindungsstraße zu befinden. Die einen befürchten plötzlich, eine Schnellstraße würde zu einer weiteren Ausdünnung der Bevölkerung des Nordöslings beitragen, die anderen verheddern sich im Knäuel der Auf- und Abfahrten, andere liebäugeln mit einer Art Spielstraße, reich an Schikanen und Spielplätzen und Grünzeugkübeln, der Wegezoll läßt grüßen. Und eine Menge Leute haben plötzlich eine tiefe, ungeahnte Liebe zur Natur entdeckt, begrüßen höflich jedes umherstreunende Bäumchen und verteidigen verbissen auch den mickerigsten Grashalm gegen die bauwütigen Asphaltmanager. So ist das Projekt mittlerweile zu einem siebenköpfigen, feuerspeienden Drachen angewachsen, und ein ganzes Peloton St. Georgs in spe rüstet auf, dem Untier den Todesstoß zu versetzen. Zum Wohle des Öslings, versteht sich. Daß eine zeitgemäße Verbindung des Nordens mit einer rapide expandierenden Hauptstadt keineswegs Luxus, sondern

Befreiung aus einer todbringenden Strangulation ist,

ein längst überfälliges Projekt, welches mit absoluter Priorität vorangetrieben werden sollte, diese Erkenntnis ist auf der Strecke geblieben. Wieder einmal, werden Kommissionen ins Leben gerufen, Diskussionsabende organisiert, Impaktstudien geordert, Zeitschinderei im Quadrat. Auf diesem glatten Parkett könnte allerdings mancher ins Schlittern geraten, und einige Akteure täten gut daran, von ihrer zumindest zwielichtigen Haltung abzurücken und endlich ihre Verantwortung zu übernehmen.

Kurioserweise beschränken sich übrigens alle Diskussionen über die Nordstraße, welche immer wieder in den Medien auftauchen, auf das Teilstück Luxemburg-Ettelbrück. Von der Pforte des Nordens an aufwärts scheinen alle Probleme gelöst. Dabei braucht die Gefährlichkeit einer (im Ausland übrigens längst verpönten) dreispurigen Straße leider nicht mehr bewiesen zu werden. Dennoch, und dies ist sehr bedauerlich, scheint eine Diskussion über die Möglichkeiten zum vierspurigen Ausbau oder zum Umfahren der Engpässe zur Zeit immer noch kein Thema zu sein.

Unseren Informationen nach wird zur Zeit (endlich!) an einem Entwicklungsplan für den Kanton Clerf gearbeitet, ein Plan, welcher der « Etude sur le Canton de Clervaux », den Konklusionen der Commission Mixte sowie den Direktiven der Landesplanung Rechnung trägt. Soll die langjährige Forderung unserer Vereinigung nach einem Gesamtplan nun doch Wirklichkeit werden? Vermutlich werden sowohl die Landwirtschaft und der Tourismus eine wichtige Rolle in dem zu planenden Stiefkanton, spielen. Ob es gelingen wird, eine nicht auf ein bis zwei Großbauern pro Dorf beschränkte Landwirtschaftsstruktur zu erhalten, erscheint angesichts der europaweit negativen Evolution zumindest fraglich. Alternative Berufsformen, innovative Ideen für diese regional zweifellos wichtige Branche scheinen im Ausland Fuß zu fassen- (die sogenannten « Groupements en commun » in Frankreich z.B.). Ob die Zeit dazu in Luxemburg einmal reif wird?

Konzepte müssen entwickelt, die Probleme an der Nordspitze ernstgenommen werden. Die regelmäßigen Hurra-Meldungen der einen erscheinen so sinnlos wie die krankhafte Resignation der anderen. Diversifikation tut not. Bei Gelegenheit einer von der LSAP-Norden organisierten Table ronde über die Zukunft des Park Hosingen und des Kantons im allgemeinen, meinte Minister Robert Krieps, die Landesplaner müßten vielleicht umdenken und die Zukunft des Kantons nicht exklusiv auf Landwirtschaft und Tourismus aufbauen.

Während der Debatten im Parlament über die Annexe des Wiltzer LTN in Clerf erklärte der Deputierte Charles Goerens, mit Schlagwörtern sei das komplexe Problem Kanton Clerf nicht zu lösen. Durch die Nutzung moderner Technologie, der Informatik, neuer Kommunikationsmöglichkeiten, könnten neue Arbeitsplätze im tertiären Sektor geschaffen werden. Vor allem aber sei die Rapidität der Verbindungswege mit dem Zentrum ausschlaggebend für die Weiterentwicklung, sowie das Erstellen eines Konzeptes:

« Ech geing ofschléissend soen, dass de Problem ganz komplex as, dass nëmmen eng global Approch, eng positiv Approche kann dozou bäidroen, dass de Klierfer Kanton mei attraktiv gët. »

Mag sein, daß die regionalen Industriezonen einen ersten Schritt in diese Richtung andeuten. Auch der Ausbau der CFL-Nordstrecke zeugt vom gutem Willen der Regierung, ebenso die Eröffnung einer Berufsschule im Kantonalhauptort. Nur, auch eine ganze Reihe Lichtblicke würde erst in einem Gesamtkonzept ihr Schattendasein beenden. Ohne Realisierung der Nordstraße zum Beispiel, wird wohl manches nie richtig zum Tragen kommen. Und symbolische Schritte laufen Gefahr auf der Stelle zu treten.

Warten wir auf den Entwicklungsplan für den Kanton Clerf. Und hoffen wir auf ein positives, durchdachtes und entschlossenes Gesamtkonzept. Es wird dringend gebraucht.

Das europäische Jahr über den ländlichen Raum ist vorbei. Aktivitäten und Initiativen in Luxemburg hatten Seltenheitswert, bestachen durch äußerste Diskretion. Eines ließ man sich aber nicht nehmen, als offizieller. Luxemburger Beitrag sozusagen, ist nämlich eine in hellem Giftgrün gehaltene Broschüre mit dem Titel « Travaux sur le Canton de Clervaux », welche die Etüde von 1983, sowie die Konklusionen der Commission Mixte von 1985 begreift, europaweit verschickt worden. So weiß man jetzt vom Polarkreis bis zum Peloponnes um die Probleme des Kantons Clerf. Und um den Ernst, mit dem man hierzulande den Problemen des ländlichen Raumes zu Leibe rückt. Und nun fragen die Lappen und die Zyprioten sich, wie es wohl im Kanton Clerf weitergehen soll. Es sei denn, und wer weiß das schon, die grüne Akte hat auf dem Papierfriedhof die ewige Ruhe gefunden.