Léon Braconnier

Dem Honn hannen

Wohl mit keinem anderen Landesteil ist soviel Schabernack getrieben worden wie mit dem Kanton Clerf. Wohl mit keinem anderen Landesteil ist soviel Schabernack getrieben worden wie mit dem Kanton Clerf. Was für die einen Studienobjekt war, Rundtischgesprächsrunde, emotionsgeladene Festtagsrede, ergreifende Durchhalteparole, doppelzüngiges Bekenntnis, lästige Pflichtübung, Wiederkauen von Pseudoerfolgen, Fahnenweihe mit Pomp, Anstecknadel und Fototermin, für die anderen bedeutete es immer das ohnmächtige Mitansehen eines Krebsganges, welcher heute zwischen der Sorge um Rentengerechtigkeit, Wohnungsmarkt, Schulpolitik, EG-Binnenmarkt mit einem hypothetischen sozialen Abbau, Gesundheitswesen und Stahlsektor, auf ein Minimum an Interesse zusammengeschrumpft ist. Auch die Medien erbarmen sich nur noch kaum des Themas, nachdem in der Vorwahlzeit noch jede Menge an Realisationen und Projekten gleich seitenweise frei Haus geliefert wurde. Mit einem variablen Anteil an Augenwischerei.

Viele Worte, welche dieser oder jener über den Niedergang des nördlichsten Achtels unseres Landes in die Welt gesetzt hat, waren, so scheint es, totgeborene Buchstaben. Sätze, welche mehr als einmal nicht ernst gemeint waren. Geistesübung bestenfalls, um eben noch ein wenig Zeit zu schinden. Worte wie Lügen. So gesehen, ist das Schweigen, welches über dem winterlichen Kanton Clerf liegt, wohltuend.

Während Autobahnen nach Osten, Westen und Süden die Zukunft aller anderen Landesteile symbolisierten, sog. « Collectrices » relativ problemlos geplant und realisiert werden, dürfte die Art und Weise, mit der man immer wieder die lebenswichtige Nord-Südverbindung hintenanstellt, als guter Gradmesser für die Ehrlichkeit der Bestrebungen gelten, auch dem Norden Luxemburgs eine Chance zu gewähren. Da stehen, so hört man, sogar Experten aus der neutralen Schweiz abwartend und ratlos vor der Trassenführung. Ob mit einer Handvoll Umgehungen das Problem zu umgehen ist? Wieso streitet man dem Ösling eigentlich eine NORDAUTOBAHN ab? Welche Kriterien werden von den Autoritäten angewandt? Besitzt die Nordstraße nicht genug Verkehrsaufkommen? Ist der Anschluß des Nordens an das internationale Netz der Autobahnen von geringerer Bedeutung? Fragen, welche Öl ins Feuer jener sind, welche glauben, einige hoch- und auch niedrigkarätige Politiker hätten den Norden seit längerer Zeit verloren…

Kein Zweifel, daß für die Entwicklung wirtschaftlicher Strukturen eine über Flickwerk hinausgehende Verbindung von größter Wichtigkeit ist, kein Zweifel auch, daß Luxemburg als Hauptstadt des Landes den Menschen der Nordspitze eigentlich näher liegen sollte als etwa Lüttich, Brüssel oder Trier. Der wichtigste Grund aber, weshalb das Projekt einer neuen Nord-Südverbindung unverzüglich in Angriff genommen werden muß, ist der MENSCH. Ein Mensch, für den tagtäglich die Nordstraße keine sterile Theorie ist, kein luftiges Gedankenspiel, sondern Desolation in Hochpotenz. Und die menschliche Dimension ist bisher in den zahlreichen, teilweise überspitzten und hitzigen Diskussionen viel zu kurz gekommen. Vielleicht, weil der Öslinger ein geduldiger Mensch ist. Dennoch mutet es mitunter etwas seltsam an, wenn die Sorge um den Menschen bisher keine so entschlossenen Pfleger, Heger und Verteidiger auf den Plan gerufen hat, wie manch anderes Interessenfeld.

Auch wenn sehr vieles mit dem Bau einer Nordstraße lebt oder stirbt, eine gute Verbindung zu den Zentren allein wird nicht imstande sein, das Ruder herumzuwerfen. Immer noch warten wir auf den vom Staatsminister im August 1987 angekündigten « Plan de développement pour le Canton de Clervaux ». Weder durch im Raume schwebende punktuelle Maßnähmchen, noch durch dunstgeschwängerte Stammtischdiskussionen wird man die Problematik in den Griff bekommen. Es muß ein Gesamtkonzept her, ein ambitiöses, ehrliches Projekt, in dessen Mittelpunkt der Mensch stehen soll, der Öslinger Mensch, dem man das von jeder modernen Landesplanung angestrebte Gleichgewicht zwischen Wohnen, Arbeiten und Freizeit schleunigst näherzubringen hat.

Dieses Streben nach Ausgewogenheit sollte im übrigen für den Luxemburger Staat eines seiner wichtigsten Anliegen sein. Das ins Abseits Driftenlassen des ländlichen Raumes, von dem besonders die Nordspitze betroffen ist, entspricht mittelfristig gesehen in gar keiner Weise den Interessen des Menschen. Seit geraumer Zeit warnen viele Experten vor den Gefahren des Zusammenballens großer Aktivitäts- und Wohnungszentren. Viele Agglomerationen, nicht nur Millionenstädte (siehe Luxemburg), stehen heute ganz nahe vor dem Zusammenbruch des Verkehrs und des Wohnungsmarktes. Da wird die Suche nach einem Abstellplatz fürs Automobil zum Abenteuer, die Vorteile des kulturellen und sportlichen Angebotes werden durch steigende Kriminalität und explodierende Wohnungskosten teilweise wieder aufgehoben.

Die Revalorisierung des ländlichen Raumes ist nicht nur eine Herausforderung für die Glaubwürdigkeit der Planer, sondern ein Mittel, viele der aktuellen, scheinbar aussichtslosen Probleme unserer modernen Welt wenigstens teilweise in den Griff zu bekommen. Allein, ist dieses ohne ein zusammenhängendes, globales Konzept, ohne nationale Solidarität, ohne politischen Konsens der großen Parteien möglich?

Doch sollte es gelingen, das Ungleichgewicht etwas zu entschärfen, einen in etwa ausgewogenen Arbeitsmarkt zu schaffen, rapide Verbindungen herzustellen, sportliche und kulturelle Infrastrukturen anzubieten, wäre das Leben auf dem Lande gewiß eine überlegenswerte Alternative. Und man würde die dort lebenden Menschen mit anderen Augen sehen. Aber bis auf weiteres wohnen sie « dem Honn hannen, do wou d’Welt mat Brieder zougeneelt ass ».

Vor kurzem sagte mir eine Dame:
« Neen, zu Klierf, mai Gott, neen, esou wait vun allem ewech, halt Dir et dann do aus? …Nemmen, fir Iech, do leit Diddeleng vläicht och dem Honn hannen ».

Nach diesen versöhnlichen Worten sei mir gestattet, auch im Namen des Vorstandes, allen Mitgliedern des « Cliärrwer Kanton », wo auch immer sie wohnen mögen, alles Gute für das neue Jahr zu wünschen.