Léon Braconnier

Warten auf die Stimme der Jugend

Wenn manchmal über die Aufwertung des ländlichen Raumes diskutiert wird, sollte man sich der Frage nicht entziehen, in welchem Maße die Bewohner dieses Raumes bereit sind, diesen Weg mitzugehen. Aufwertung einer Region, auf kulturellem, sozio-ökonomischen Plan, Verbesserung der Infrastrukturen, Einbeziehen in eine größere, nationale, ja europäische Planung. Die Frage sei erlaubt, welchen Wert, welchen Rang das Gefühl der Zusammengehörigkeit des Einzelnen mit seinem Lebensraum hat. Ein Lebensraum, « der von vielen Seiten und durch viele Ursachen in Frage gestellt ist » (René Steichen, Vorwort zum Buch « Liewen am Eislek ».)

Oft hat diese Zeitschrift gestützt auf die Kenntnis der Vergangenheit, versucht, einen Blick in die Zukunft zu werfen.

In eine Zukunft zwischen Hoffen und Bangen.

In eine Zukunft, welche manchmal den süßen Geschmack der Versuchung hatte. Und manchmal den bitteren der Enttäuschung.

Man kann Zukunftsängste zerstreuen, verniedlichen, verharmlosen, verkennen, leugnen. Nur in einem bestimmten Maße kann man Zukunft planen, Zukunft kann man mitunter auch verplanen. Obwohl Letzteres mangels an Plänen wohl kaum auf die Nordspitze zutreffen wird.

Zukunft baut man auf das Fundament der Vergangenheit.

Fast 50 Jahre sind es her, da in den Ardennen eine Schlacht geschlagen wurde, welche Zehntausende junger Menschenleben forderte. Regelmäßig besuchen Kämpfer von damals die Stätten, die unauslöschlich ins Gedächtnis geschrieben wurden. Blumen werden niederlegt, schlichte Zeremonien. Man mag die geringe Anteilnahme der Bevölkerung bedauern, das Fehlen der Jugend. Und dann sollte man auch fragen, wieso dem so ist. Da ist es erfreulich, daß unsere Zeitschrift seit Jahren dazu beiträgt, daß Erinnerungen aufgeschrieben werden, erhalten bleiben.

Immer wieder erzählen viele Seiten im « Cliärrwer Kanton » von damals, von früher. Sie erzählen von einer Zeit, da drehten sich die Mühlenräder noch. Da kann man zwischen den Seiten das fröhliche Klingen auf dem Amboß hören und das Schnauben der Pferde. Das Schaben der Gerber, die Rufe der Händler auf dem Markt. Und wenn der Winter die Luft dünn und klar macht, manchmal, des Abends, das Heulen des Wolfes.

Und die vielen Seiten erzählen die Geschichte der Familien, der Dörfer, der Kirchen, der Glocken. Sie erzählen von Tagen, da läuteten die Glocken froh zur Hochzeit, sie erzählen von Tagen, da war den Glocken so ernst, daß sie am liebsten geschwiegen hätten.

Die Bilder und Fotos im Cliärrwer Kanton erzählen von den Hügeln und Tälern des Öslings, und während sie erzählen, sind es plötzlich Berge und Schluchten. Und die stillen Himmel bauen gewaltige Wolken auf, und die Wolken spannen ein gewaltiges Dach über die vielen Berge und Schluchten. Ein. Dach über die Wälder und Flüsse und über die Sorgen und Freuden der Menschen. Die Menschen, die sich in dieser Jahreszeit um das Feuer versammeln und Geschichten erzählen. Die Menschen, die gut daran täten, sich wieder um das Feuer zu versammeln und « zur Uucht » zu sitzen. Die Menschen, die manchmal das Geschichtenerzählen verlernt haben. Und das Zuhören.

Geschichte und Geschichten, nicht um der Nostalgie willen. Stimmen von gestern und Stimmen von heute.

Und da gibt es Stimmen, die nach der Stimme der Jugend fragen, und die glauben, die Jugend hätte, neben dem Club des Jeunes und dem Zeltfest und dem Dorffest und der Wahl der Miss Zeltfest und dem Halli-Hallo-Zeltfest und dem Sommerfest und dem Planen der tollen Reise nach Palma, keine Zeit, sich ernsthaft Zukunftsgedanken zu machen. Gedanken über die Zukunft der Dörfer. Über die Zukunft der vergessenen Dörfer des Öslings. Gedanken über den Ausverkauf ihrer Region.

Wird eine Gegend nicht ausverkauft, wenn man

  • die staatlichen Verwaltungen nach und nach wegrationalisiert
  • die Verbindungen zu den Entscheidungszentren, zu den Arbeitsplätzen, zu den Ausbildungsstätten, zu den Freizeitzentren sabotiert
  • sich weigert, einen kohärenten und zeitlich definierten Entwicklungsplan auszuarbeiten
  • sie als Museum der Nation installieren will?

Ausverkäufe werden normalerweise an die große Glocke gehängt: dieser nicht. Man mogelt, retuschiert, kaschiert. Zum Scheitern verurteilte Projekte (z.B. sog. Berufsschule in Clerf) werden mit großem Getöse angekündigt, dann mit äußerster Diskretion unter den Teppich gekehrt. Mit an Lächerlichkeit grenzendem Aufwand werden Mini-Vorhaben und Pseudoanimation aufgebauscht. Eintagsfliegen, Nutzloses oder Selbstverständliches wird als « eppes fir d’Eislek gemaach » verkauft.

So wundert nicht, daß an dieser Stelle das eine oder andere Wort der Enttäuschung gestanden hat. Vielleicht sogar das eine oder andere ungehaltene Wort. Aber es stand auch geschrieben, daß Imagination gefragt ist, Ausdauer, Flexibilität, Qualitäten, welche der Jugend nicht fremd sein dürften. Es wäre mehr als interessant, in dieser Zeitschrift verstärkt die Stimme der Jugend zu hören. Dies soll als Aufruf verstanden werden.

An alle Leser des « Cliärrwer Kanton » die besten Wünsche für 1993.