Léon Braconnier

Endlich: Es wird dezentralisiert!

Mancher hat sich aufgeregt, als man dieses Spätfrühjahr die Nordstraße wieder einmal aufs Eis gelegt hat. Einige meinten sogar, daß man die Nordstraße aufs Kreuz gelegt hat. Andere wundern sich Ende 1995, angesichts der Baueuphorie im Zentrum und in der Minette, daß das Projekt in Richtung Norden immer noch in den Startlöchern stochert. Und es gibt hier und da die Befürchtung, daß die Nordstraße regelrecht verplant, ja zu Tode geplant wird. Und mit Sorgenfalten auf der Stirn fragen sich einige, ob die Nordstraße nicht zu jenem Kamel wird, das die interministerielle Kommission einmal als Pferd geplant hatte.

In solch pessimistische Diskussionen möchte sich die Vereinigung De Cliärrwer Kanton keineswegs einmischen. Denn wir wissen: an der Nordstraße wird gearbeitet.

Es werden Studien erstellt, schon jahrzehntelang, ja, aber wahrscheinlich ist es mit diesen Studien wie mit einem guten Wein: je länger sie reifen, desto besser werden sie. Und ausgereift wird das Projekt in jedem Falle sein. Denn heute schon, wie ein alter Wein, hat die Nordstraße eine gute Blume, so edel und fein, daß manche Nase schon darüber golden wurde.

Ganz klar, daß vor der Nordstraße das schon fast verwirrende Netz von Autobahnen, Rocades, Contournements, Pénétrantes und Collectrices im Zentrum und Süden des Landes unbedingt fertiggestellt werden muß. Und dann verlangt vielleicht die außerordentlich teure Hybridbahn, auch noch aufs Gleis gesetzt zu werden. Aber wer möchte sich auf diesem rutschigen Parkett noch zu Voraussagen hinreißen lassen?

Aber es gibt nicht nur Fortschritte in Sachen Nordstraße, es gibt regelrechten Anlaß zur Hoffnung in einem anderen Dossier, das den Verantwortlichen unserer Vereinigung oben liegt. Jahrzehntelang wurde nämlich zentralisiert, so manche Verwaltung oder Dienststelle von der Nordspitze wegrationalisiert. Still und diskret. Beim Wegrationalisieren ist es nämlich nicht wie bei Einweihungen. Da gibt es keine Ehrenweine, keine Ehrenphotos für die Presse und schon gar keine Festreden. Jawohl, die Landflucht wurde vom Staat vorexerziert. Daß das damals keine so tolle Idee war, haben mittlerweile alle eingesehen, denn nun geschieht Wunderliches:

Es wird wieder dezentralisiert!

Eine ganze Menge nationaler Infrastrukturen, mit vielen Arbeitsplätzen verbunden, kommen nämlich nicht in die bisherige Hauptstadt. So entstehen oder entstanden das Centre National de Formation Continue in Esch, das Centre National de Radiotherapie in Esch, das Centre National de l’Audiovisuel in Düdelingen, das Centre National de Tennis in Esch, das Centre National de Readaptation (vermutlich) in Düdelingen.

Aber wieso kommt dies alles an den Südrand des Landes, fragen sich da viele, die ihre Adresse nicht in der Minettegegend haben. Und einige der beliebten Leserbriefe in den Zeitungen waren sehr kritisch ob dieser Entwicklung. Wir Nordisten können uns aber kaum dagegen wehren, forderten wir denn nicht jahrelang eine Dezentralisation? Und unsere gewählten Vertreter wissen schon, was sie tun. Oder nicht tun. Gegebenenfalls würden sie ja sonst ihre Stimme erheben. In unserem Namen. Und überhaupt: in Luxemburg ist ja alles nur ein Katzensprung und in 45 Minuten, dozierte eine Süd-Abgeordnete, ist man eh von jedem Punkt des Ländchens in Esch.

Und vermutlich wird Esch, dank der neuen Nordstraße, gar in 35 Minuten zu erreichen sein. Und das ist ja nun wirklich nicht der Rede wert.