Léon Braconnier

«Jeunesses», wo seid ihr geblieben?

Auch der diesjährigen Edition der « Journées du Chant Grégorien »war, trotz widrigem Wetter, ein großer Erfolg beschieden. Die Idee, gregorianische Tage in der Clerfer Abtei anzubieten, entspricht einem echten Bedürfnis. Gregorianik ist modern. Von der bemerkenswerten Konferenz des Abtes bis zum letzten, ergreifenden Konzert der litauischen Schola spannte sich ein Bogen der Begeisterung. Für alle Teilnehmer, auf beiden Seiten. Begeistert, sich an einer Quelle der europäischen Kultur ergötzen zu dürfen, begeistert, den Geist der Musik gewordenen Gebete zu atmen. Die vielen hundert Zuhörer kamen von nah und fern, natürlich vorwiegend aus dem Großherzogtum. So manchen war aber auch der Weg aus dem Ausland nicht zu weit. Und als wir nach den 3 Konzerten Bilanz zogen, stand plötzlich eine Frage im Raum:

Wo war unsere Jugend geblieben?

In der Tat, kaum ein Gesicht unter 20 war aufgefallen. Am Eintritt dürfte es nicht gelegen haben; der Eintritt war frei. Was dann? Kein Interesse? Keine Zeit? Keine Lust? Das Wetter zu schlecht? Der Weg zu beschwerlich?

Um musikalischen und anderen Missverständnissen vorzubeugen: der Unterzeichnete glaubt nicht, die Jugend wäre nur an Techn., Rap oder Dreck interessiert. Wohl gibt es auch unter den jungen Leuten musikalisch Unterentwickelte. Deren Gehör, auf ewig Disko- und Walkmangeschädigt, sowieso nur das tumbe Basswummern vernimmt. Auch das blöde Bumm-Bumm-Bumm, das man beim Vorbeifahren verschiedener junger Autofahrer vernimmt, ist keine kulturelle Sahne. Doch es soll und darf nicht verallgemeinert werden.

Mag sein, daß man sich, besonders nach unseren «Journées du Chant Grégorien», gelegentlich wundert, einen beeindruckenden Autopark bei Hallen- oder Zeltfesten zu entdecken. In der Abteikirche war, so gesehen, wenig «los». Zur Verständigung brauchte man gar nicht erst zu brüllen. Es gab kein Bierrülpsen und keine Schlägerei. Es gab die Stille. Die feierliche Stille und diesen wunderbaren Gesang aus dem Herzen Europas.

Wo war die Jugend? Nur Bock auf Jubel, Trubel, auf Mallorca-Heiterkeit? Nicht an Kultur interessiert? Keinerlei Sympathie für die einzige Abtei in unserem Land? Aber lassen wir einmal Abtei und Gregorianik. Wo liegen die Neigungen der Jugend? Sport, Literatur, Fernsehen, Politik, Kunst, Internet, Musik, Ausbildung, Reisen? Daß so manch älterer Zeitgenosse einigen jüngeren Zeitgenossen Interesselosigkeit, Langeweile, Ziellosigkeit, Unwissen und vor allem Phlegma an- dichtet, mag übertrieben sein. Aber manchmal verständlich. Und das sollte die Jugend auch nicht wundern. In vielen Bereichen verlangt die scheinbare Perspektivlosigkeit nämlich ein forsches und entschiedenes Herangehen (bitte dieses forsche Herangehen nicht mit forschem Gaspedal verwechseln; Anm. des Autors).

Denn, liebe «Jeunesses», das äußere Bild trügt nicht immer. Und die Äpfel fallen bis auf weiteres immer noch nicht weit vom Stamm.

Wo waren die jungen Leute geblieben? Manchmal schleicht diese Frage sich dann doch in jene Regionen vor, wo der Zweifel wohnt. Und dann erfahre ich (Bravo!), daß die «Jeunesse» aus M. sich neue T-Shirts hat drucken lassen, mit der Aufschrift auf Brust oder Busen: Et muss méi gesoff gin!

Zugegeben, das macht etwas betroffen. Auch wenn es in der luxemburger Szene nicht weiter auffallen wird. Vom «Saubal» iwwer «wann’s de wells d’Sau erausloossen» und anderen beliebten Supersauen ist es bis zum kulturellen KO nicht mehr weit. Wir sind sogar, saugar, verdammt dicht dran. Bei vielen festlichen Anlassen, bei Hochzeiten z.B., hat sich ein derart desolates und ruppiges Niveau etabliert, daß einem eigentlich nur noch das Fernbleiben übrig- bleibt. Die Frage steht im Raum, wieviele Organisationen, manche gar mit kulturellem Feigenblatt, noch ohne wüstes Sauf- und Freßgelage auskommen. Das betrifft dann allerdings nicht nur die Jugend, sondern auch die Erwachsenen. Muß z.B. ein Hobby-, Bauern-, Pferde-, Weihnachts- oder Wie-auch-immer-Markt denn unbedingt von der ersten bis zur letzten Stunde mit den Originaldudlern aus Originaldummhausen bis zum Geht-nicht-mehr zugedudelt werden? Ist die Nivellierung auf unterstem Niveau schon Standard? Oder darf man Schrott immer noch Schrott nennen?

Nun mochten wir aber nicht das Jahr mit solch rauhen und vielleicht etwas zornigen Worten abschließen. Und sollte es der Zorn des Gerechten sein. Wir mochten mit einem Angebot zum Dialog abschließen, und laden jetzt schon alle jungen Leute zu den «Journées du Chant Grégorien 1999» ein, insbesondere die vielen, vielen Schüler und Schülerinnen der kantonalen Musikschulen. Die meisten dieser jungen Musiker üben zahlreiche Stunden, manchmal gar mit echter Begeisterung, und schicken auch in diesen Dezembertagen per Klavier, Flöte, Klarinette oder Trompete Millionen von Noten und Tausende von Pausen in die kalte Öslinger Luft. Und die Noten, die ganzen, die halben, die viertel, die achtel und all ihre schnellen Kinder, spannen ein Netz von Musik und von Hoffnung in den silbrigen Winterhimmel, daß einem fast warm ums Herz werden könnte.

Wir wünschen allen Lesern des Cliärrwer Kanton, von älter bis jung, fröhliche Weihnachten und ein glückliches, gesundes neues Jahr.