Léon Braconnier

C’est tellement luxuriant…

Uns mag es nicht weiter auffallen, Fremde merken es sofort. Wenn man den Raum Nordstadt hinter sich lässt, um über die N7 nach Norden zu fahren, wechselt die Welt. Man verlässt die Täler der Sauer und der Alzette und die Straße schwingt sich in weiten Bögen gegen Himmel. Und dann fährt man auf diesem weiten Plateau, und manchmal sieht man in der Ferne, manchmal recht nah, die eine oder anderer Siedlung der Menschen. Man ahnt die tiefen Täler, Jahrmillionenwerk der Gewässer. Man genießt die Sicht, die an klaren Tagen bis ans Ende der Welt reicht. Und die Hochebene lässt die Himmel an allen Tages- und Jahreszeiten aussehen wie am Tag der Schöpfung. Da gibt es die blauen Postkartenhimmel, die im Sommer die Hitze zittern lassen, und die im Winter den Schnee so blendend weiß malen, dass man die Augen zukneift. Es gibt so viele Wolkenhimmel, wie die Erde Tage zählt, vom roten Cirrhushimmel bis zum großartigen Kumulusspektakel. Wolken sind, wie die Engel, Geschöpfe des Himmels. Es gibt die friedlichen Schäfchen-, die drohenden Gewitterwolken und es gibt riesige Wolkenteppiche, die fliegen so tief, dass sie Mutter Erde küssen. An diesen Tagen hat das Ösling eine wichtige Rolle: es stützt den Himmel. Die geheimnisvollste Zeit des Jahres aber ist der November. Da treiben die Herbstnebel der Welt im Ösling ihren Spuk, und das lange bevor tüchtige Geschäftemacher das amerikanische Halloween wieder in Europa Tritt fassen ließen.

Wenn die Öslingreise per Zug auch vollkommen anders ist, das Naturschauspiel der Täler ist jenem der Höhenstrasse durchaus ebenbürtig. Man hat vor langen Jahren die Schienen mit den Wasserwegen vermählt. Die Clerve, die Wiltz, die Sauer haben Partnerschaft mit Wegen aus Stahl geschlossen, und letztere gewähren tagtäglich Tausenden von Fahrgästen Einblick in die Schönheiten der Täler und Schluchten. Die Eisenbahntrasse Ettelbrück-Ulflingen, und ihre belgische Fortsetzung bis hinauf nach Lüttich, ist eigentlich eine Traumreise. So manche Bilder, die am Zug vorbeifließen, sind von betörender Schönheit. Weil die kurvenreiche Trasse keine allzu große Geschwindigkeit erlaubt, kann der Reisende in Ruhe die friedliche Atmosphäre genießen, die Abgeschiedenheit, die heilsame Stille der Ardennen. Die schroffen Felsen, die wilden Hänge, das unendliche Efeu, die tausend Farne, die Mäander der Wasser, die seltsame Zeichen in die saftigen Wiesen schreiben. Und dem aufmerksamen Beobachter wird der mittelalterliche Gruß der Schüttburg nicht entgehen.

Wie man es auch angeht, das Ösling, die Schwester der belgischen Ardennen und der deutschen Eifel, übt eine seltsame Faszination aus.

Interessant wäre es, die Wirkung des Lebensraums auf den Menschen zu untersuchen. Welche Wirkung hat die Umwelt, die Natur, die Landschaft auf die menschliche Psyche? In welchem Maße wird sein Denken, sein Handeln, auch noch im Zeitalter der neuen Medien, von der Umgebung beeinflusst?

Unsere soeben erschienene Sondernummer über die Natur hat zur Genüge die Wichtigkeit einer gesunden Umwelt unterstrichen. Vielleicht müssen wir in verstärktem Maße Ehrfurcht und Respekt vor den Schönheiten des Öslings entwickeln. Manchmal sind es gerade die Fremden, die uns auf all diese Pracht aufmerksam machen. Die Fremden, die ab und zu das Auto anhalten, um einen Augenblick lang die Ruhe und die Stille einzuatmen, einen Augenblick lang die Unendlichkeit des Himmels genießen, all die Farben und Stimmungen, die uns tagtäglich umgeben.

So geschehen bei den diesjährigen « Journées du Chant Grégorien ». Die Damen des « Choeur Grégorien de Paris, Voix de Femmes » waren voll der Bewunderung über unsere Gegend. Staunen über die herbstliche Vielfalt, über den Morgennebel, der etwas zögerte, die Sicht auf den blauen Himmel und die strahlende Sonne freizugeben. « C’est tellement luxuriant… ». Ob unsere Natur, die sich an jenem 22. Oktober 2000 tatsächlich von ihrer allerschönsten Seite zeigte, zu Höchstleistungen angespornt hat, ist schwer zu sagen. Tatsache aber ist, dass das Konzert in der Abtei ein absoluter Höhepunkt war.

Und wenn wir Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, auch keine musikalischen Grüße schicken können, das ganze Team vom Cliärrwer Kanton bedankt sich für Ihre Treue und wünscht Ihnen von ganzem Herzen ein frohes Weihnachtsfest und ein gutes neues Jahr. Und das unabhängig davon, ob Sie im Ösling wohnen, oder ob das Ösling bei Ihnen im Herzen wohnt.