Léon Braconnier

Schwaarze Storch, wäisse Fangerhutt a bloen Himmel …

Lange hatten wir schon geplant, unsere diesjährige Sondernummer der Natur zu widmen. Da fiel mir die « ungehaltene Rede vor dem Deutschen Bundestag » (September 1984) von Uta Ranke-Heinemann in die Hände. Aber davon später.

Doch was ist « Natur »? Vielleicht helfen Lexika weiter. So öffne ich das gerade zur Hand liegende « Wahrig Deutsches Wörterbuch ». Und da steht es. Natur ist « die uns umgebende, von Menschen nicht geschaffene Welt und die ihr innewohnende Schöpferkraft »; sie ist ein « ursprünglicher, unverfälschter Zustand. »

Viele Male haben wir in unserer Zeitschrift auf das zum Teil brachliegende Potential unserer Gegend hingewiesen. Vielleicht ist das grösste Potential, der größte Reichtum unserer Gegend eben die Natur, jene Natur, die im Ösling noch teilweise intakt ist. Und so möchten wir in der diesjährigen Sondernummer in Wort und Bild auf diese natürliche Umwelt eingehen. Aber diese Seiten sollen mehr sein als eine simple Aufforderung, wieder einmal nach den Wanderschuhen zu greifen. An Hand einiger Beispiele sollen Naturschutz und Naturpflege ganz konkret gezeigt werden, es soll anschaulich gemacht werden, wie durch mühsame Arbeit und Kleinarbeit ein Umfeld geschaffen oder wiederhergestellt wird, das Pflanzen und Tieren den notwendigen Lebensraum schafft. So sollen diese Seiten auch eine Anerkennung sein für jene Personen und Organisationen, die seit Jahrzehnten bedeutende Anstrengungen unternehmen, um den kommenden Generationen jenen natürlichen Reichtum zu sichern, der in all den Jahrtausenden des Menschen Entwicklung ermöglichte.

Einsatz für die Umwelt: das bringt uns wieder zur « ungehaltenen Rede » der Uta Rank-Heinemann. Eine Rede, ungehalten eben, manchmal mit bitterbösen Worten durchsetzt gegen jenen Menschen…aber lesen wir gemeinsam:

« …Wir müssen mehr den Ozean vor uns als uns vor dem Ozean schützen. Wir sind der Natur gefährlicher geworden, als sie es uns jemals war.

…Und das von Menschen geschaffene Sterben der Kreatur, die toten Tiere und die toten Pflanzen sind nicht nur die stumme Folge menschlichen Verbrechens, sie sind das laute Weinen der Erde über ihr Elend.

Dieser Planet ist unsere Polis (Anm. des Unterzeichneten: Stadtstaat) und Heimat. Vor langer Zeit hat sich die Erde als eine dazu bereite gezeigt. Es war nicht wenig, was sie dazu einbrachte, denn es braucht viel, des Menschen Erde zu sein. Es brauchte dazu Milliarden Jahre an Zeit, es brauchte ein ganzes Universum dazu. Es mussten fremde Sonnen entstehen und vergeben, damit die Erde sich aus deren Stoffen bilden konnte, und es brauchte nach ihrer Entstehung wiederum Zeit und Geduld, und es brauchte vor allem Verstand über unseren Verstand hinaus, bis der Reichtum und die Schönheit der Erde sich in ihrer Flora und Fauna zu einem Ausmass über unser Begreifen hinaus auch für den Menschen entfalteten. Es ist Verstand in der Sache. In einem einzigen Fliegenauge ist mehr Verstand verborgen als in Tausenden Jahren menschlicher Politik. Die Erde hatte dem Menschen vertraut, als sie ihm Raum gab zum Leben. Aber der Mensch hat es nicht gedankt.

… Dass aus der Erde geworden ist, was aus ihr geworden ist, eine misshandelte und verunstaltete, ein Gift- und Müllplanet zwischen Leben und Tod, das ist nicht ihre Schuld, das ist des Menschen Schuld… »

Soweit die Frau Professor Ranke-Heinemann. Wenn wir auch an dieser Stelle nicht den vollständigen Text abdrucken, eines möchte ich loswerden. Mir wurden am Ende der Lektüre die Augen feucht.

Die Geschichte des Menschen hat durchaus einige beachtliche Momente, weit imposanter allerdings ist in der Geschichte der Pyramiden- und Kathedralenbauer das horrorfilmreife Kapitel Verbrechen. Bis in unsere Tage reicht die endlose Serie der Kriege und Gemetzel, furchtbare Saat des Hasses, der Dummheit und des unersättlichen Hungers nach Macht und Einfluss. Wen wunderts, dass in all den Jahrhunderten, vor allem aber im Industriezeitalter, der Mensch sich immer wieder aufs Gröbste an der Natur vergriffen hat. Auch hier hat der Sündenkatalog des Menschen eine überaus bemerkenswerte Länge. Mag sein, dass manche dies als Preis für den Fortschritt bezeichnen. Aber dann ist es ein sehr teuer erkaufter Fortschritt, eine wahrlich grausige Hitparade des Schreckens:

  • Vergiftung des Wassers (Grundwasser, Flüsse, Meere, Regen)
  • Verseuchung des Erdbodens,
  • Verschmutzung der Atemluft
  • Ausrottung der Arten (Pflanzen und Tiere)
  • Zerstörung der Landschaft (rücksichtsloses Ausbeuten der Erdschätze)
  • Vernichtung des Waldes (Abholzen, Waldsterben)
  • Ausdünnung der Ozonschicht

…und, leider, weitere Kabinettstückchen menschlicher Intelligenz und Weitsicht. Wie im richtigen Comic sägen wir fröhlich jauchzend und schunkelnd an dem Ast, auf dem wir sitzen. Wir jubeln und preisen uns, wohlwissend, der internationale Gerichtshof für Verbrechen an der Natur wird uns nichts anhaben können. Es gibt ihn nicht.

Auf Grund zum Teil spektakulärer Ereignisse sind allerdings mittlerweile etliche Befürchtungen im Umlauf, die Natur sei dabei, zu ernsthaften Vergeltungsschlägen auszuholen…

Ob es für eine Wende zum Guten noch reicht, scheint in der Tat fraglich. Immer mehr Experten sind sich darin einig, dass der « Point of no return » längst überschritten sei. Und haben tatsächlich nicht schon heute viele Erzählungen der Großeltern und Eltern, so man ihnen noch zuhört, einen fast märchenhaften Charakter: weißer Schnee, klarer Himmel, saftige Wälder, saubere Luft, reines Wasser?

Soweit zu etwas allgemeinen Betrachtungen. Ist es aber nach alledem so verwegen zu behaupten, die Öslinger Landschaft sei unser größter Reichtum?

Diese Sondernummer des Cliärrwer Kanton gibt einen ansehnlichen Einblick in unsere Natur: in die Täler, Wälder, Wiesen, Tümpel, Felder. Es ist eine schöne, bunte Edition. Sie zeigt in vielen Bildern, welch erstaunliche Nuancen die Farbe grün haben kann, sie zeigt, wie ergreifend der Flug des Schwarzstorches ist, warum einige Ha Ursprünglichkeit so wertvoll sind. Sie zeigt, teilweise zwischen den Zeilen, wie wichtig uns der Schutz und die Pflege unsere Landschaft sein sollen. Wenn wir tatsächlich an die Kapazität unsere Region glauben, verlangt dies eine systematische Aufwertung des ganzen Umfeldes. Im Klartext: ohne größere Investitionen in den Erhalt der Natur wird es kaum gelingen, eine glaubhafte Politik zu machen. Benevolat ist sicher bemerkenswert und unerlässlich, mit mehr fest eingestellten Mitarbeitern würden viele Projekte den Rahmen einer Pionierarbeit aber weit schneller überschreiten.

Stellen wir alle uns die Frage, was eine gesunde Natur eigentlich wert ist. Reicht es, in Festreden, Absichtserklärungen und farbigen Broschüren neue Wege zu beschwören? Es müssen mit Sicherheit weit mehr konkrete Taten folgen, und dies alles wird es nicht zum Nulltarif geben. Werden nicht in den Ballungsgebieten Millionen in kulturelle und sportliche Einrichtungen gepumpt? Vermutlich ist das gut so. Gut wäre es aber auch, die Höhe der Investitionen in die ländlichen Naturgebiete zu überdenken. Konsequentes Planen im Bereich Natur und Umwelt würden unserer Gegend, dem Ösling, völlig neue Perspektiven eröffnen, Perspektiven mit ungeahnten sozialen und wirtschaftlichen Möglichkeiten. Der Schutz unserer natürlichen Umwelt ist zudem eine Investition in die Zukunft des Menschen, der in seinem unermüdlichen Suchen nach Erfüllung die einfachen Dinge des Lebens spätestens dann vermissen wird, wenn es sie nicht mehr gibt.

Ob es möglich sein wird, unseren coolen Kids und abgeklärten Erwachsenen vom Zauber einer gesunden Natur zu überzeugen, bleibt offen. Ruhe spüren, Stille essen, Vogelgezwitscher in sich hineintrinken. Die Sanftheit des Trittes auf dem Moos messen, die Richtung des Windes mit dem Gesicht ertasten, die Feuchtigkeit des Waldes riechen, die wohlige Wärme der Sonne atmen, den endlosen Sternenhimmel fühlen…

Viel Erziehungs- und Sensibilisierungsarbeit wird nötig sein. Vor Ort, und landesweit, geht es darum, das Stadium des Hausbackenen zu verlassen. Ein Beispiel, das viel gepriesene Netz der Wanderwege. In der Theorie erwarten viele Kilometer den naturhungrigen Wanderer. In der Realität muss letzterer desöfteren eine gehörige Portion Tapferkeit, Geduld und wohl auch Humor mitbringen, um die zum Teil kaputten Wege mit abenteuerlicher Beschilderung heil zu überstehen. Wann kommt endlich eine einheitliche, kompetente Signalisation, die Instandsetzung der zum Teil sehr beschädigten Waldwege, das Schaffen von weiteren Schutzzonen, Lehrpfaden, Beobachtungstürmen, Aussichtsterrassen, Informationstafeln? Aber auch das mag nicht reichen. Vorausgesetzt, die lokalen Hausaufgaben sind gemacht, braucht es eine kluge und nationale Medienkampagne, um das Image der Nordregion zu veredeln. Das Luxemburger Land muß den außergewöhnlichen Wert der Öslinger Landschaft anerkennen und dafür Sorge tragen, dass heute, nicht morgen, Luft und Wasser, Pflanzen und Tiere, ja die ganze Landschaft in den Genuss eines besonderen Schutzes, einer prioritären Pflege kommen.

Viele Anzeichen, nicht zuletzt die beharrliche Arbeit vieler Naturfreunde, auf privater und staatlicher Ebene, sprechen dafür, dass unsere Natur morgen das Aushängeschild der Region werden kann. Haben wir den Mut an neue Strukturen zu glauben, überzeugen und werben wir für humane Landwirtschaft, rücksichtsvolle Forstwirtschaft und anspruchsvolle Strukturen im Tourismus. Zusammen mit so manchen kulturellen Einrichtungen, zusammen mit einer teilweise sehr interessanten Bausubstanz, und zusammen mit all den Menschen, die dort wohnen, wird der Kanton Clerf und das ganze Ösling wohl seinen Weg machen.

Und vielleicht ist es ja so, dass der Respekt und die Hochachtung des Menschen vor der Schöpfung nur ein erster, aber wichtiger Schritt ist. Der zweite wäre dann, sich unter Menschen in angemessenerem Maße zu achten. Und dies ist auch der Grund, wieso diese Sondernummer für einen kulturellen Verein wie De Cliärrwer Kanton so überaus wichtig ist.