Léon Braconnier

Verziel mer vum Krich…

Mehr als ein halbes Jahrhundert ist es her, da wurden die bittersten Seiten der Geschichte unseres Landes geschrieben. Die Kriegsjahre 1940-1945 haben eine tiefe Spur hinterlassen. Eine Spur von Tränen, Leid und Tod. Wohl selten zuvor mussten die Bewohner Luxemburgs eine solch harte Bewährung durchstehen.

Erinnern wir uns: mit dem feigen Überfall am 10. Mai 1940 brach das Unheil über unser Land herein, das Inkrafttreten der deutschen Kapitulation am 8. April 1945 zog den Schlussstrich. Inzwischen mögen viele Wunden verheilt sein, die Narben erinnern aber weiter an die schrecklichen Ereignisse.

Es stimmt, dass wir in den 20 Jahren Cliärrwer Kanton schon so manche Zeile über den Krieg, vor allem über die Ardennenoffensive, gedruckt haben. « Verziel mer vum Krich » aber stellt die damalige Zeit 112 Seiten lang ins Rampenlicht. Wir haben Zeugen befragt, baten um Berichte, Fotos und Dokumente. Diese dichten Seiten geben nur einen Teil von dem wieder, was wir auf unserer Zeitreise begegneten. Unerwartet viele Menschen, die damals in den ersten Reihen standen, boten ihre wertvolle Mitarbeit an. Dies wird erlauben, über die vorliegende Extraausgabe hinaus, weitere Erzählungen zu veröffentlichen. Für die bereitwillige Zusammenarbeit möchten wir uns ausdrücklich bedanken.

Die folgenden Texte lassen die Erinnerung sprechen, sie erzählen einzelne Episoden, berichten von grausamen Tagen. Aber manches lässt sich schwer in Worte fassen. Vieles kann man zwischen den Zeilen lesen. Die Ergriffenheit einiger Erzähler hat uns geprägt.

Und es ist wohl diese Ergriffenheit, welche unsere Chronik so wertvoll macht. Die Geschichten, die meine Großeltern und meine Eltern vom Krieg erzählten, haben mich immer tief beeindruckt. Einmal, zu Beginn der 60er Jahre, hatte mein Vater sich erkältet und musste einige Tage zu Hause bleiben. Der Zufall wollte, dass auch ich eine Bronchitis erwischte und nicht in die Schule konnte. Nachdem es in all den vorherigen Jahren oftmals hieß « Verziel mer vum Krich », und mir schon manche Episode bekannt war, rief mich mein Vater eines Morgens zu sich. Ich legte mich zu ihm, und er schilderte mir die Geschichte unserer Familie während den Kriegsjahren. Mehrere Stunden erzählte er, beantwortete meine Fragen. Und viele seiner Worte habe ich niemals vergessen.

« Verziel mer vum Krich ». Wie oft wird diese Bitte noch von Kindern und Jugendlichen an die Älteren gerichtet? Noch gibt es viele Zeitzeugen. Was sie erlebt haben, was sie überlebt haben, macht sie teilweise zu Helden wider Willen. Ihre persönlichen Erinnerungen verdienen gehört und aufgeschrieben zu werden.

Zu den spannenden, ergreifenden und nachdenklichen Erzählungen unserer Sondernummer schicken wir Ihnen in Kürze ein zusätzliches Heft, und zwar eine überaus wertvolle Arbeit des Lehrers Marcel Scheidweiler. In Form einer « bande dessinée » schildert sie ein unauslöschliches Ereignis im Leben des amerikanischen Soldaten George J. Davis. « A soldiers first kill… » ist in Form und Sprache ein Erlebnis, ein echtes Glanzlicht. Wohl spielt die Geschichte im benachbarten Elsass, die Landschaft und die Ereignisse sind dem Geschehen im Ösling aber durchaus verwandt. Den englischen Text haben wir nicht angetastet, die Bilder im markanten Zweifarbendruck sind selbstredend.

Insgesamt hat der 2. Weltkrieg über 36 Millionen Opfer gefordert. Eine kaum vorstellbare Zahl. Die Erde am Rande des Abgrunds. An der Schwelle des dritten Jahrtausends hatte man fast geglaubt, endlich vor der Tür eines menschlicheren Zeitalters zu stehen. Aber dann kam der 11. September 2001 und mit ihm die Tränen der Welt. Blinder Hass, zynischer Fanatismus haben Unfassbares Realität werden lassen. Regiert der Wahnsinn?

Unsere Vereinigung ist immer für Toleranz, Bildung und Kultur eingetreten. In Clerf wirbt Edward Steichens beeindruckende « Family of Man » für Frieden, Verständnis und Brüderlichkeit. Wird sie überhört?

Eines haben wir am 11. September deutlich gespürt. Der Einsatz gegen Machtgier, Dummheit, Intoleranz, Fanatismus und Co ist zur Pflicht geworden.

In diesem Sinne dürfte diese beachtliche Sondernummer des Cliärrwer Kanton weit mehr sein als eine interessante Geschichtsstunde. Sie ist stilles Mahnmal und lauter Wegweiser zugleich. Und sie soll Zeugnis ablegen vom Respekt jener, die durch den Mut der Vorgänger heute in Freiheit leben dürfen.