Léon Braconnier

Besonnesch am Eisléck…

Sonntag, der 27. Oktober 2002. Das letzte Konzert unserer Journées du Chant Grégorien steht an. Das Wetter herbstlich gefärbt, windig, regnerisch. In den letzten Tagen einige Sturmböen über Westeuropa. Aber heute klart es auf.

Gegen 13.00 Uhr klingelt das Telefon. Eine freundliche Dame aus Larochette.

« Wir möchten uns gerne das Konzert des Kinderchores aus Madrid anhören, aber wir trauen uns nicht richtig… »

« Wieso, Sie sind alle willkommen! »

« Ja, ist das Wetter denn nicht so katastrophal? Im Radio haben sie gemeldet, ein besonders schwerer Sturm würde aufziehen, und apart im Ösling werde es sehr schlimm werden. Man soll am besten die Häuser nicht verlassen. »

« Es ist schon windig, Madame, es ist eben Herbst. Aber im Moment scheint sogar die Sonne. Die Situation im Ösling ist meiner Meinung nach nicht dramatischer als bei Ihnen. Kommen Sie ruhig nach Clerf. »

Über die Anekdote hinaus, ist es nicht tatsächlich so, dass das Ösling in den Wettervorhersagen der gesprochenen Medien regelmäßig Opfer stupider und stereotyper Floskeln wird?

Wer kennt sie nicht, die « besonders im Ösling »-Litanei:

  • wenn Regen erwartet wird, dann besonders im Ösling
  • wenn Gewitter im Anzug sind, dann besonders im Ösling
  • wenn Stürme toben, dann besonders im Ösling
  • wenn Nebel herrscht, dann besonders im Ösling
  • wenn Frost und Kälte drohen, dann besonders im Ösling
  • wenn Straßenglätte zu befürchten ist, dann besonders im Ösling
  • wenn Schnee fällt, dann besonders im Ösling

Natürlich ist das Klima in der höher gelegenen Nordregion um etwas rauer, um einige Grade frischer. Das dürfte hinreichend bekannt sein und die Frage ist, ob man alle Tage darauf hinweisen muss. Dazu: in Luxemburg sind die regionalen Wetterunterschiede der Landesgröße angepasst und bewegen sich letztendlich auf eher bescheidenem Niveau. Wenn der November auf nasskalt schaltet, durchdringt einen die Feuchtigkeit in Schifflingen so unangenehm wie in Ulflingen. Und wer den beeindruckenden Durchzug am « Forum Royal » im Luxemburger Bankenviertel überlebt hat, dem wird auch das Klima in Wiltz nichts anhaben.

Im übrigen, sollte es wie letztes Jahr vorkommen, dass wider den Trend Schnee in Massen fällt, ist das Ösling in der Regel weit besser darauf eingestellt. In kurzer Zeit sind die allermeisten Straßen befahrbar, derweil in anderen Regionen oft chaotische Zustände herrschen und der Verkehr hoffnungslos zusammenbricht. So waren letztes Jahr in einigen Vierteln der Hauptstadt die Bürgersteige wochenlang vereist. Ob im Radio vor gefährlichen Bürgersteigen gewarnt wurde, « besonders in der Hauptstadt », entzieht sich meiner Kenntnis.

Vielleicht wäre es an der Zeit, die ewige Panikmache « besonders im Ösling » einzustellen. Denn bei der « Meteo » klingt es fast, als ob Luxemburgs Norden Einflugschneise für alle Unwetter der Welt sei. Als ob oberhalb von Ettelbruck regelmäßig Katastrophenalarm ausgelöst werden müsste. Aber Klischees ausrotten zu wollen, mögen sie noch so blödsinnig sein, ist wie Don Quichotes Kampf gegen die Windmühlen. Die « besonnesch am Eisléck »-Leier wird wohl weiter in den Äther ausgestrahlt werden, und neben der in Luxemburg besonders einfältigen Radiowerbung ihren angestammten Platz behalten.

Sou mussen mir weider mat Stuerm, Reen, Niwwel, Wiederen, Knëppelsteng, Schnéi a Glëtz liewen, awer, wee wees, vläicht kënnt enges Daags esouguer d’Sonn e bësschen an d’Eisléck luussen. Dann missten « déi dobaussen », op t’manst déi vun douewen, direkt an den Radio « erantelefonéieren », fir dat Evenement ze confirméieren.

Das Ösling darf sich im übrigen nicht nur beim Wetter über eine Extrabehandlung freuen. In den Nachrichten, im Fernsehen oder Radio, werden Meldungen, so sie ausnahmsweise die Nordregion betreffen, regelmäßig von einer süffisanten Ironie begleitet. Ungewollt witzig ist es aber allemal, wenn auf Minettsdialekt getrimmte Sprecher versuchen, quasi als witzige Pointe, « Eislécker » zu imitieren.

Aber vielleicht haben die Damen und Herren vom Radio- und TV-Wetter ja recht. Denn ganz ausschließen mag man folgendes Szenario nicht. 2003. Die nette Dame aus Larochette greift wieder zum Telefon:

« Wir würden gerne zum Konzert in die Abtei kommen. Ist das Wetter im Ösling tatsächlich so schlimm, wie man im Radio gesagt? »

« Oh ja, Madame, schlimmer noch. Aber warten Sie, ich blicke gerade zum Fenster hinaus…um Gottes Willen, das ist ja schrecklich. Die Menschen halten sich an den Straßenlampen fest, Autos werden über den Marktplatz geschleudert, sämtliche Bäume liegen um. Aber was sehe ich, der Abteiturm hängt ja schon ganz schief… »

Schwamm drüber. Das Konzert der Escolania de la Santa Cruz kannte tatsächlich einen überwältigenden Erfolg. Für an die 400 andächtige ZuhörerInnen aus dem In- und Ausland ein Erlebnis. Minutenlange stehende Ovationen, fürwahr ein krönender Abschluss der diesjährigen Edition der gregorianischen Tage.

Bedauerlich und bemerkenswert allerdings, dass die Journées du Chant Grégorien in der Luxemburger Tagespresse mit allergrößter Diskretion behandelt wurden. Andere zeitgleiche Ereignisse, deren Tragweite zu bewerten man sich hüten sollte, fanden indes ihren Niederschlag in Text und Bild…

Zum Schluss, nach all dem Ärger: De Cliärrwer Kanton befindet sich unbeirrt auf Erfolgskurs. Die letzte Sondernummer mit dem Titel « Weeër, chemins, Wege » fand viel Lob, die Journées du Chant Grégorien sind aus der nationalen Kulturszene nicht mehr wegzudenken, unsere wertvolle Zeitschrift erfreut über 1300 Abonnenten. « Wann de Kanton kënnt », sagte mir ein treuer Leser, « da gëtt et owes spéid! »

In diesem Sinne wünscht die ganze Equipe des Cliärrwer Kanton schöne Feiertage zum Jahresende und ein glückliches neues Jahr. Bleiben Sie gesund!