Léon Braconnier

Gelassenheit, Mut und Weisheit

Auf meinem Tisch war der Pfarrbrief des « Porverband Cliärref – Hengescht – Munzen » für den Monat Juli 2004 gelandet. Auf Seite 1, in kunstvollen, aber schwer lesbaren Buchstaben, ein weiser Spruch:

Gott
gebe mir die
Gelassenheit,
Dinge hinzunehmen,
die ich nicht
ändern kann, den
Mut,
Dinge zu ändern,
die ich ändern kann,
und die
Weisheit,
das eine von dem anderen
zu unterscheiden.

« Die Weisheit, das eine von dem anderen zu unterscheiden », mit Sicherheit eine große Kunst. Denn was ist unabänderlich, was veränderbar?

Wann soll man gelassen akzeptieren, wann sich mutig für Veränderungen engagieren?

Und wer weiß schon, wo die Grenzen zwischen Resignation und Protest verlaufen?

Als Ende der 70er / Beginn der 80er Jahre die Situation im Kanton Clerf dramatische Züge angenommen hatte, wurde das Dahinsiechen der Nordspitze von vielen in unserem Land als Fatalität hingenommen. Dass das Nordösling zu verbluten drohte, schien allerorts akzeptiert. Da gehörte in der Tat eine Portion Mut dazu, die Notbremse zu ziehen. Das Ösling erwachte aus der Lethargie. Und es stellte sich heraus, der Niedergang war keineswegs Gottes Wille. Immerhin: es brauchte mehr als ein Jahrzehnt, um das Steuer herumzureißen.

Die Frage nach dem Akzeptieren und dem Nein sagen stellt sich häufig im Alltag. Der aggressive Autofahrer, der lästige Raucher im Restaurant, die unfreundliche Verkäuferin, der überhebliche Beamte. Und dann heißt es: Gelassenheit oder Mut?

Vieles scheinbar Etablierte ist bei näherem Hinsehen auf wackeligen Boden gebaut. Als Beispiel mag man den Sport anführen. Die vor einigen Wochen zu Ende gegangene Euro 2004 hatte durchaus beängstigende Nebenerscheinungen. Wann wächst aus « sportlicher » Begeisterung fanatische Blindheit? Wann flammt wieder ungesunder Nationalismus auf? Nun mag man entgegnen, der moderne Sport ersetze die Kriege. Ja, vielleicht mutieren die « Olympischen Spiele » bald zu « Olympischen Kriegen ». In Zukunft bekämpfen und besiegen sich die Völker dann mit Medaillenspiegeln und Trophäen. Hurra, hurra.

Manchmal ist es derart geil, einem Siegervolk anzugehören, dass man des Nachts rudelweise hupend und grölend durch die Straßen fährt. Aus nationalen Flaggen werden rasch Siegerfahnen. Manchmal machen Fahnen Angst.

Wenn sich Horden von stinkbesoffenen « Fans » nur mit großem Polizeiaufgebot « kontrollieren » lassen, soll man das mit Gelassenheit ertragen, oder darf man noch den Mut haben, dies nicht mitzutragen?

Seltsame Evolutionen blühen in der bunten Sportswelt. Der Sport boomt zum großen Geschäft. Man hört, der Fußballtrainer einer iberischen Nation verdiene pro Monat 175.000.- Euro. Bemerkenswert. Und man liest, der Formel 1 Weltmeister verdiene jede Viertelstunde den Mindestlohn, übers Jahr, Tag und Nacht, versteht sich. Ebenfalls erstaunlich.

Das Sponsoring der Stars dient ja vor allem dem Geschäft mit der großen Masse. Von den überteuerten Sportschuhen über die coole Unterwäsche bis zum tollen Shirt, alles natürlich mit dem richtigen Emblem, der Markt gibt einiges her.

Akzeptieren oder protestieren? In dieser Frage kommt man unweigerlich zu Presse und Medien. Die Gier nach Sensation und Skandal hat längst krankhafte Züge angenommen. Da wird in der Politik ein Rücktritt gefordert. Die im Rampenlicht stehende Persönlichkeit wird sturmreif geblitzlicht, erbarmungslos gejagt, wirft am Ende das Handtuch. Skandal, Skandal, man wendet sich bereits dem nächsten Opfer zu. Rechtfertigt der Kampf um Einschaltquoten und Auflage jedes Mittel?

De Cliärrwer Kanton hat immer die Meinung vertreten, Kultur sei eine hervorragende Waffe im Kampf gegen die Mittelmäßigkeit, die überall um sich greift. 25 Jahre Cliärrwer Kanton, das bedeutete oft entscheiden, was unabänderlich schien, und was es zu verändern galt. Wir haben unsere Meinung immer dann gesagt, wenn es um die vitalen Interessen unserer Region ging. Und das mit Erfolg. Auch heute zählt unsere Stimme in der Diskussion, wie unser Kanton morgen aussehen soll.

Die Welt ist komplizierter geworden. Interessen haben fast überall die Werte ersetzt, so sie überhaupt einmal Gewicht hatten. In der Wirtschaft wird mit härtesten Bandagen gekämpft, in Politik und Kunst geht es viel zu oft um das wer und wo, nicht um das was und wie. Manche Manöver sind äußerst transparent, andere Machenschaften im Knäuel der Verfilzungen fast nicht zu durchschauen. Mögen wir die Gelassenheit besitzen, oft zu schweigen. Und mögen wir den Mut haben, unsere Meinung zu äußern, wenn es um das geht, was uns und Ihnen, verehrte(r) Leser/In, oben liegt, ganz oben: unser schönes Ösling.

Mittlerweile sind die Plakate in Blau, Orange, Rot und Grün an den Straßenrändern verschwunden. Einige versprachen eine blühende Zukunft, neuen Elan, einige säten Hoffnung und Zuversicht auf bessere Zeiten, andere forderten Gesundheit, Wohnraum, Arbeit und Glück für alle.

Es gilt nun, weiter zum Wohle unseres Landes zu arbeiten, und, natürlich auch darum, die Nordspitze fest in diese Pläne einzubinden.

In der letzten Legislaturperiode wurde leider die Gelegenheit vertan, per Gesetz festzuhalten, dass der Kanton Clerf ein Lyzeum braucht. Nun sollte keine weitere Zeit verloren gehen. Wortbekenntnisse ade, Handeln hallo. Denn die Zahlen reden Klartext. Vertrauen wir auf die Weitsicht, auf den Mut und die Weisheit der Akteure!