Léon Braconnier

Clervaux, Cité du bruit?

Eines der Argumente, das immer gerade stehen muss, wenn es um die Attraktivität des Öslings für den Fremdenverkehr geht, ist die Ruhe und die Beschaulichkeit. Natur und Stille fernab der Hektik und des Lärms, die wohl oder übel die Ballungszentren auszeichnet. Ob unsere Region aber in Zukunft weiter mit dem Gütesiegel Natur und Stille werben kann, erscheint angesichts der Realität zumindest fraglich.

Als Beispiel, die Situation in der Kantonalhauptstadt, immerhin eine der Hochburgen in der Luxemburger Tourismuswelt. Gepriesen als Perle des Öslings, als « étonnant et surprenant », ist Clerf in der Tat alles andere als banal. Die einzigartige Lage macht aus der Abteistadt einen der bemerkenswerten Orte Luxemburgs. Manchem Besucher verschlägt das Panorama den Atem. Die hufeisenförmige Ortschaft mit dem mittelalterlichen Märchenschloss, der imposanten Dekanatskirche und der weithin sichtbaren Abtei mit den roten Dächern ist schon beeindruckend. Neues Highlight ist seit einem Jahrzehnt die von der Unesco in das Register « Mémoire du Monde » aufgenommene Ausstellung « The Family of Man », die allein schon eine Reise wert ist. Clerf hat vieles zu bieten, ausgedehnte Spaziergänge in einer noch relativ intakten Natur, Hotels und Restaurants, die so manchen Vergleich nicht zu scheuen brauchen.

Eines will jedoch partout nicht passen: der Verkehrslärm, der sich zunehmend in die Idylle einnistet. Luxemburgs Fuhrpark wächst kontinuierlich, klar, dass auch in Clerf keine schallgedämpften Autos und Busse ihre Runden drehen. Auch die steigende Zahl der motorgetriebenen Zweiräder nimmt an Wochenenden und Feiertagen fast bedrohliche Ausmaße an. Die Hauptschuld am lästigen Geräuschpegel aber tragen andere.

Zum ersten die stetig wachsende Flotte der Kühlwagen, die den Kantonalhauptort sechs Tage die Woche beglückt. Besonders im Ortszentrum wird von Montag bis Samstag fleißig geliefert. Laut Aussagen der Fahrer darf dabei der Motor des Fahrzeugs keine Minute abgestellt werden, da das Kühlaggregat allem Anschein nach permanent laufen muss. Dieses wurde dem Unterzeichneten von einem Verantwortlichen der « Provençale » bestätigt. Dass also während Stunden in einem Ortskern Dieselmotoren munter ihre Zylinder auf und ab jagen, um Kühlaggregate zu speisen, nichts ist normaler. Ganz klar, dass unsere « Touristen », die gleichzeitig auf den Terrassen ihr Getränk geniessen, von diesem Szenario sehr angetan sind. Nicht nur dass 2 Motoren im Duett viele Dezibel stark um die Wette hämmern, es werden gleichzeitig Millionen von Mikropartikeln in die Kurluft gepustet. Da freut sich jeder. Viele Besucher, die aus dem Stadtlärm und vor verpesteter Luft aufs Land geflüchtet sind, fühlen sich gleich heimisch.

Sukkurs erhalten die Fischers, Provençales und ihre zahlreichen Cousins vom Schwerverkehr, der Clerf fest in seinem Griff hält. Tag und Nacht rollen sie, die Giganten der Straße, die Autobahnkapitäne, durch das mittelalterliche Städtchen. Einverstanden, sehr schnell geht dies nicht vonstatten, es gilt, zwischen Reuler und Clerf etliche Kurven zu durchzirkeln. So warten zwischen dem Home St. François und der Garage Agranord auf einer Distanz von 400 Metern drei 180° Kurven, in Luxemburg wohl rekordverdächtig. Im Ortskern, bei der Maison Krauser, auf engstem Raum, auf weniger als 100 Metern, noch einmal zwei 90° Kurven. Zwischen Fleurs Nicole und dem Supermarkt Mangen ist die Straße am Fuß der Burg gerade mal 6 Meter breit. Wer weiß, dass ein « Truck » in der Breite etwa 2,50 Meter misst, versteht, dass sich an dieser Stelle keine 2 Laster oder Busse kreuzen können. Haarsträubende Szenen spielen sich ab. Macht nichts. In Clerf geht es trotzdem.

Nun mag man entgegnen, die Zunahme des Schwerverkehrs sei unausweichliche Folge der Industrialisierung. Wurden etwa Industriezonen eingerichtet, ohne sich um die Zufahrt zu scheren? Hat sich die Planung auf das Ausweisen von günstigem Baugelände beschränkt? Die Verantwortlichen beteuern, es gäbe sehr wohl empfohlene Zufahrtswege zu den Betrieben. Eine zusätzliche Verbindung von der N 7 zum Industriegebiet Lentzweiler sei seit vielen Jahren im Gespräch. Wie so oft, wenn es sich um Probleme im Ösling dreht, ist scheinbar die Fraktion der Bremser am Werk, greift die « Mal-sehen-Politik ».

Die Clerfer Gemeinde und das Gemeindesyndikat Sicler haben erkannt, in welch hohem Maße die Lebensqualität der Gäste, aber natürlich auch jene der Einwohner in Gefahr ist. Doch ohne Zutun der staatlichen Autoritäten und Verwaltungen ist das Problem wohl nicht in den Griff zu bekommen.

Vieles steht auf dem Spiel. Wir müssen uns immer wieder die Frage stellen, wie das Ösling morgen ausschauen soll. Was entscheiden wir? Wäre es angebracht, unsere Werbekampagnen mit dem Versprechen von Ruhe und Idylle zu überdenken?

Clervaux, Cité de l’Image oder Cité du Bruit et du Trafic?

Es muss alles getan werden, den Geräuschpegel in unseren Ortschaften zu senken. Überall im Land beginnt sich Widerstand gegen die lärmenden Lieferwagen zu organisieren. Andererseits benötigt der Schwerverkehr geeignete Straßenverbindungen, er gehört auf keinen Fall in unsere Dörfer und Städte. Dem wilden Transitverkehr muss Einhalt geboten werden. Mag sein, dass die meisten Fahrer nur die vom Navigationssystem ausgesuchte Trasse verfolgen. Doch der kürzeste Weg ist nicht immer der beste. Schon gar nicht in Clerf. Denn das Durchqueren des Kantonalhauptortes ist auf Grund der besonderen topografischen Lage eine besonders gefährliche Route. Die Zeitbombe tickt. Und sie tickt so laut, dass eigentlich niemand sie überhören kann. Dass sich bis heute kein schwerer Unfall ereignet hat, grenzt an ein Wunder. Mag sein, dass die heiligen Kosmas und Damian ihre schützende Hand über den Ort halten. Kann sein, dass die vielen Gebete der Mönche eine Art Versicherung sind. Bleibt zu hoffen, dass der liebe Gott nicht einen Tag Urlaub macht.