Léon Braconnier

Eau, tu es l’or bleu

Anfang der neunziger Jahre weilte ich an der amerikanischen Westküste, genauer gesagt in Seattle. Eine Stadtbesichtigung war angesagt, als Höhepunkt winkte ein Besuch der Boeing Werke. Der Bus erschien morgens vor dem Hotel, es regnete in Strömen. Die Stimmung war leicht gedrückt. Umso größer war die Überraschung, als der lokale Reisebegleiter uns mit den Worten begrüßte: « You’re lucky people, the wheather is quit fine today. We have liquid sunshine ». (« Sie haben Glück, das Wetter ist toll. Wir haben flüssigen Sonnenschein »). « Im Ernst », sagte er dann, « Seattle ist eine glückliche Stadt – es regnet viel. Unsere Stadt ist immer grün! »

Diese Aussage mag manchen Westeuropäer kaum berühren. Doch im Angesicht des kaum noch zu übersehenden Klimawechsels klingen die Worte des Reiseführers fast wie eine Mahnung. Grüne Landschaften sind bei uns (noch) eine Selbstverständlichkeit. Doch die Perioden grosser Hitze häufen sich. Dürre macht sich breit, ganze Ernten stehen auf der Kippe. Waren Klimaanlagen in unseren Gefilden eher die Ausnahme, heute gibt es kaum ein Geschäft ohne. Und morgen werden sie auch in Privatwohnungen keine Exoten mehr sein. Das Grundwasser sinkt stetig; das mag unbemerkt über die Bühne gehen, weltweites Gletscherschmelzen hingegen ist beängstigend. Die Alpenpracht geht dahin. Jeder merkt, die Erde gerät aus dem Lot, und in diesem Wegdriften in eine ungewisse Zukunft spielt der Zyklus des Wassers eine Hauptrolle.

Nun warnt auch diese Spezialnummer des Cliärrwer Kanton vor Klimawandel, erzählt aber in der Hauptsache von jenem Gut, dass immer kostbarer wird: das Wasser. Lasst uns also in quirlige Quellen und lebendige Bäche eintauchen, in Gewässer, die vielleicht im Kanton Clerf durchaus bescheiden sind, die aber als Teil der Mosel und des Rheins kleine und große Schiffe tragen und danach Teil der Meere sind, Ozeane ohne Ende, in dem auch die gigantischsten Schiffe der Mensch weniger als Nussschalen sind. Jeder Tropfen Wasser unseres Kantons wird dann eines Tages in den Meeren der Welt von unseren Dörfern erzählen, von der Gemütlichkeit und der Stille der Wälder und Wiesen. Und wenn der Sturm am Kap Horn tobt, werden unsere Wassertropfen vom Novembernebel zu berichten wissen, und, wer weiss, von ihren Cousins, den Schneeflocken, die der Winterhimmel manchmal übers Land rieseln lässt.

Zwei Atome Wasserstoff und ein Atom Sauerstoff bilden das Molekül Wasser. Dieses Trio hat der Erde das Leben geschenkt. Das Wasser ist mit dem Licht der größte Freund des Planeten Erde. Wenn wir diesen Freund ehren und respektieren, schützen wir uns selbst.

In dieser Nummer dominiert aber nicht die Farbe blau, die man normalerweise dem Wasser andichtet, sondern die Farbe grün. Auf 120 Seiten ist die Rede von reinem und klarem Wasser, in dem ebenso winzige wie erstaunliche Lebewesen gedeihen. Man zeigt uns, wie aus vielen kleinen Wasserläufen die Bäche des Kantons wachsen. Unsere Wasserreise führt durch Literatur und Poesie, erzählt von längst verschwundenen Mühlen und aus jener Zeit, in der man die Äcker flutete. Wir begegnen Anlagen, die aus verschmutztem Wasser wieder fast sauberes zaubern.

Am Ende angekommen ahnen wir alle: auch in diesem Cliärrwer Kanton steckt eine Menge Arbeit. Viele Recherchen und Geduld, tausend und mehr Fotos waren notwendig, um diese Dokumentation zusammenzutragen. Aber Wasser ist ein wertvolles Gut – der Aufwand lohnt sich.

Millionen Menschen kämpfen täglich um das Überleben, weil sie keinen Zugang zu sauberem Wasser haben. Allein durch den Mangel an Trinkwasser sterben jedes Jahr 4 Millionen Kinder. Wie andere Schätze hat der Allmächtige auch das Wasser auf Erden beileibe nicht gerecht verteilt. Immer mehr stellt sich heraus, dass eines Tages der Rohstoff Wasser das blaue Gold sein wird. Schon heute kostet einfaches Wasser, von cleveren Menschen in Plastik gefüllt, einen halben Euro die Flasche. Auch wenn es oft tagelang auf Paletten in der Sonne steht, und von Frische keine Rede mehr sein kann. Auch dann kostet es einen halben Euro pro Flasche.

Da weiß jeder: den Wasserhahn beim Zähneputzen laufen lassen gilt nicht mehr.