Léon Braconnier

Die Journées du Chant Grégorien – welch eine Story

Alljährlich, im Oktober, dreht sich in der Benediktinerabtei über dem Ardennerstädtchen Clerf alles um den Gregorianischen Gesang. Das einstige Leader-Projekt startete im Jahr 1997 mit dem Ziel, eine Wurzel der europäischen Musik in den Vordergrund zu stellen, Aktivitäten um einen Gesang zu entwickeln, der eben in besagter Abtei, im Herren des Kantons, eine Bleibe hat. Sieben Mal am Tag versammeln sich die Mönche in der Klosterkirche, sieben Mal am Tag erhebt sich dieser Gesang an der Grenze zur Stille gegen Himmel. An ruhigen, klaren Tagen steigt das Salve Regina wohl hinauf bis zu den Sternen, bei Regen und Wind klammern sich die einzelnen Noten an die Tropfen, und so verteilt sich die Melodie über die ganze Landschaft.

« Faire pleuvoir sur les hommes quelque chose qui ressemble à un chant grégorien » Antoine de Saint-Exupéry

Klar, dass wir das erste Jahr etwas unsicher waren – würde das Publikum unser Angebot annehmen? Aber eigentlich glaubten wir von Anfang an an einen Erfolg, der sich dann ja auch einstellte. Nur weitaus imposanter, als wir je geträumt hatten. Jedes Jahr wird die Abteikirche nämlich zum Treffpunkt von weit über 1000 begeisterten Zuhörern aus allen Teilen des Großherzogtums und seiner Nachbarn. Aus allen Herren Ländern haben wir Chöre eingeladen: aus Frankreich, den Niederlanden, Belgien, Österreich, Luxemburg, Tschechien, Italien, Norwegen, Deutschland, Spanien, Portugal, Litauen, Kanada und sogar aus Japan. So war die Capella Tokyo ohne Zweifel eines der Highlights der Serie, unglaublich was in dieser Sternstunde an innigem Tiefgang geboten wurde. Ein dankbarer Zuhörer berichtete mir, dass er für seinen Heimweg nach Malmédy nur Nebenstraßen wählte, um die gesungene Stille länger auf sich wirken zu lassen.

Auch 2011 war ein besonders intensiver Jahrgang. Gleich das erste Konzert war ein grandioses Erlebnis. SINGER PUR, wohl eines der besten Vokalensembles überhaupt, konnte durch ihr kluges und vielschichtiges Programm, ihre herausragende Interpretation, durch die schönen Stimmen und perfekte Präzision bestechen. Die SCOLA METENSIS ließ uns an einer faszinierenden Reise teilnehmen, von der einfachen gregorianischen Einstimmigkeit bis zu den verschiedenen Etappen der frühen mittelalterlichen Polyphonie. Das Konzert der ABTEISCHOLA möchte ich durch ein Zitat von Frater Gregor Baumhof OSB* beschreiben:

« Der gregorianische Choral ist eine besondere Form gesungener Meditation. Er ist im frühen Mittelalter aus dem Gebet und der Kontemplation der Mönche erwachsen, ein klarer, einstimmiger Gesang, der in seiner ruhigen und strömenden Melodie die Ehrfurcht vor dem Heiligen, die Verehrung des Ewigen hörbar macht. »

Das Konzert der Clerfer Mönche, im Dialog mit der Cavaillé-Coll Orgel, immer wieder ein besonders authentischer und tiefgründiger Moment! All das erklärt den beeindruckenden Publikumserfolg, um den manch einer uns beneidet. Die Zustimmung beruht aber auch auf der Tatsache, dass die Clerfer Abtei in unserem Land einzigartig ist. Es gibt in Luxemburg ohnehin nur wenige Abteien. Echternach, ganz klar. Neumünster, aber man denkt hierbei eher in einer historischen oder kulturellen Dimension. Die Abtei Clerf hingegen steht für die einzige lebendige Gemeinschaft, es gibt nur einen Abt in Luxemburg! Dass hunderte Zuhörer den Weg auf die Höhe über der Kantonalhauptstadt finden, zeigt, dass diese Abtei die Menschen in ihren Bann zieht. In der Tat, wie viele Bindungen wurden nicht im Lauf der Jahrzehnte zwischen den Einwohnern und den Mönchen geflochten, wie viele Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft sind nicht in diesen heiligen Mauern eingekehrt! Die Beziehung zwischen den Mönchen und dem Cliärrwer Kanton hat sich im Laufe der Jahre vertieft, eine respektvolle Freundschaft verbindet uns.

Bemerkenswert auch die absolut homogene Zusammensetzung unseres Publikums: aus allen Gesellschaftsschichten, aus sämtlichen Alterskategorien strömen die Menschen zusammen, die geparkten Autos reichen mitunter fast bis nach Eselborn. Die Gesänge in der Abteikirche sind stets gekennzeichnet von respektvoller Ruhe und Andacht, sogar die traditionellen Konzerthuster halten sich weitgehend zurück.

Einzig der finanzielle Aspekt unserer Initiative sorgt für etwas nachdenkliche Minen. All die Jahre haben sich die Journées du Chant Gregorien auf einem beachtlichen künstlerischen Niveau abgespielt. Oft machen uns die Chöre einen Freundschaftspreis, wohlwissend, dass wir wegen der besonderen Zusammenarbeit mit der Abtei keinen Eintritt erheben. Dennoch lassen Honorare, Verpflegung, Reise- und Übernachtungskosten, Werbung und Programme den Etat in die Höhe schnellen. Lange Zeit gelang es, Einnahmen (Kollekte, Subsidien) und Ausgaben nicht zu weit auseinanderklaffen zu lassen. In den letzten Jahren ist das Defizit aber in einem Maß angewachsen, dass das Überleben trotz des Erfolgs mittelfristig nicht gesichert ist. Dennoch, wir werden alles daran setzen, damit das größte Event in unserem Land um den Gregorianischen Gesang weiterleben kann.

Mit unserem Dank für Ihre Treue wünscht der Vorstand des Cliärrwer Kanton zum Jahresende den zahlreichen Abonnenten ein frohes und friedliches Weihnachtsfest, und für 2012 alles Erdenklich Gute. Bleiben Sie gesund!

*Gregor Baumhof, Gesänge der Stille, Kösel-Verlag München, ISBN 978-3-466-36721-4