Léon Braconnier

Musik kann auch störend sein …

…so hatte uns Septimaner Musikprofessor Norbert Thill, den ich Jahrzehnte später als Mitarbeiter des Cliärrwer Kanton schätzen sollte, damals im Athenäum gelehrt. Wie Recht er hatte.

Aber Musik kann auch das Allerhöchste sein. So während dem letzten Konzert der diesjährigen „Journées du Chant Grégorien“. Das internationale Frauenensemble „Graces & Voices“ verzauberte die zahlreiche Zuhörerschaft mit einem klanglichen und spirituellen Feuerwerk. Das 49. Konzert in unserer Serie seit 1997 sollte das schönste werden. Am Ende hatte sich das Publikum erhoben, der Applaus wollte kein Ende nehmen. Das ist in der würdigen Abteikirche eher die Ausnahme.

Zwischen den rein gregorianischen Stücken hatten die Sängerinnen immer wieder zeitgenössische Kompositionen angestimmt. Besonders ein Alleluja des Komponisten Randall Thompson hatte es in sich. Vom zarten Flüstern bis zum hochjauchzenden, strahlenden Alleluja, keiner der Anwesenden, der nicht in seinem tiefen Inneren berührt gewesen wäre. Und ich bewunderte in diesen Momenten des Glücks diese seltsame, geheimnisvolle Kraft der Musik, die uns Menschen seit ewigen Zeiten auf unseren Wegen begleitet.

Bei so viel Schönheit kam mir unwillkürlich das armselige Gedudel, das leider überall auf uns lauert, in den Sinn.

Ich sehne mich manchmal nach einer Welt mit mehr Respekt vor der Musik. Es wäre schön, wenn man in Einkaufszentren und Fußgängerzonen von dieser stupiden ohrenbetäubenden Berieselung verschont bliebe. Aber an den meisten Orten ist es heutzutage meist keine Berieselung mehr, es ist ein systematisches Zudröhnen mit an Albernheit kaum zu übertreffenden Rhythmen, Tönen und Texten.

Kürzlich fragte ich die Dame an der Kasse, wie sie den Tag überlebt mit diesem permanenten akustischen Schwachsinn. Sie antwortete mir, das sei so von der Direktion gewünscht. Und wie es der Zufall wollte, erschien gerade die Chefin. Es fiel mir natürlich nicht schwer, meine Meinung klar und verständlich, aber dennoch freundlich, auszudrücken. Auch die Dame war freundlich. Sie verstand meinen Ärger, erklärte mir aber, dass es Studien gegeben hätte, die eindeutig bewiesen, dass die Musik in Geschäftsräumen verkaufsfördernd sei. OK, sagte ich, das mag sein, aber muss denn diese „Musik“ so entsetzlich laut sein? In jedem Fall, antwortete sie, besagte Studien hätten zudem klar ergeben, dass nur sehr laute Musik bei den Kunden jenen Adrenalinstoß auslöse, jenen famosen Stoß, der dann den gewünschten Kaufreflex nach sich ziehe. Hurra!

Ich bedankte mich für die Erklärung, verzichtete dann aber auf den eigentlich geplanten Kauf, wünschte viel Erfolg und verabschiedete mich, einen guten Tag wünschend.

Einige Tage später in einem Baumarkt. Trotz lauter „Techno“-Klänge, die bei mir normalerweise einen Fluchtreflex auslösen, habe ich endlich die gesuchten Schrauben gefunden und drücke der Kassiererin mein Bedauern aus, dass sie sich den Lärm acht Stunden lang anhören muss. Sie haben Recht, sagte sie, aber die Musik hier im Laden wird von Brüssel (!) aus gesteuert. Ja, entgegnete ich, aber es gibt doch wahrscheinlich irgendwo im Laden einen Knopf zum Steuern der Lautstärke. Allerdings, sagte sie, aber der Knopf befindet sich im Büro, und das ist zur Zeit nicht besetzt.

Da ist es tröstlich, wenn man in verschiedenen Läden, Cafés oder Restaurants anstatt stupider Rhythmen einfach Radio hören kann. Wohl gibt es auch da alberne und stumpfsinnige „Songs“, manchmal sind sogar sehr stumpfsinnige darunter, bei verschiedenen Sendern sogar meistens, aber man erfährt nebenbei, dass das nun folgende Stück in der kanadischen Hitparade von Nummer 239 auf 14 gesprungen ist und dass es, hoppla, einen solchen Sprung seit 22 Jahren nicht mehr gegeben hat. Super! Und spielt mal keine Musik, kommt die Werbung, die gleiche kommt übrigens jede Stunde. Möbelheini hat wegen durchschlagendem Erfolg die Aktion um weitere zwei Wochen verlängert. Beim Kauf von zwei Küchen, trara, trara, bekommt man die dritte, trara, trara, geschenkt. Toll. Und nach der Werbung erfährt man, dass in Oberkorn eine Katze, die auf den Namen Octopussy hört, verschwunden ist.

Liebe Freunde, wäre es nicht an der Zeit, die weiße Fahne einzustreichen? Freiheit ist ein hohes Gut, und natürlich hat jeder das Recht sich das anzuhören, was er möchte. Solange es sich auf die eigenen vier Wänden beschränkt. Oder auf die Ohrstöpsel. Scheint es in diesem Sinne nicht sinnvoll, sich gegen die ungehemmte Ausbreitung von akustischem Müll zu wehren? Der Kampf gegen traditionellen Müll, etwa Kunststoff, Altmetall, Bauschutt usw. ist mit viel Aufwand und Kosten verbunden. Bei akustischem Schrott reicht es meistens, den Knopf von „On“ auf „Off“ zu stellen. Oder wenigstens die „Volume“-Taste auf Talfahrt zu schicken.

Auch das gleichermaßen stumpfsinnige wie lieblose weihnachtliche Gedudel in Fußgängerzonen und Einkaufzentren ist dieser Tage kaum noch zu ertragen. Es ist erhebend, von der „Stillen, Heiligen Nacht“ in der verregneten, aber leider nicht stillen Fußgängerzone zu träumen, von der entsprungenen Ros, vom Schnee der leise rieselt, vom Tannenbaum, der partout grün bleiben will. Der kleine Papa Noël tut mir aufrichtig leid, wenn Tino Rossi ihn wochenlang durch die Shopping Zentren jagt, zwischen all die traurigen Weihnachtsmänner, die gelangweilten Kindern Süßigkeiten austeilen. Ein Jammer auch, wenn Frank Sinatra und Bing Crosby zum abermillionsten Mal den „Jingle Bells“ und „White Christmas“ anstimmen müssen.

Nun wird man sagen, der Präsident des Cliärrwer Kanton wird alt und griesgrämig. Zumindest das erste stimmt. Und auch wenn besagter Präsident sehr wohl weiß, dass seine Sätze nichts und rein gar nichts ändern werden, glauben Sie ihm, es hat gut getan, sie aufs Papier zu bringen.

Das Team vom Cliärrwer Kanton wünscht Ihnen frohe Feste zum Jahresende, und alles erdenklich Gute für 2014. Bleiben Sie gesund und uns gewogen.