Léon Braconnier

30 Jahre Nachfolger von René Maertz … einige persönliche Gedanken

Nach der diesjährigen Generalversammlung am 21. April 2015 bestanden die Kollegen aus dem Vorstand auf eine sehr liebe Art und Weise darauf, an die 30 Jahre zu erinnern, während denen mir gegönnt ist, im Cliärrwer Kanton mitzuwirken.

Die Ehrung kam unerwartet, Freund Henri Keup hielt eine Laudatio, die mich sehr berührt hat; danach las er einen Brief „Blumme fir de Präsident“ von seinem Vorgänger Lex vor, Zeilen, die mich ebenfalls so ergriffen, dass ich plötzlich keinen Ton mehr herausbrachte.

Mag sein, dass 30 Jahre eine respektable Zeit darstellen, sie vergingen wie im Flug. Es war ein Flügelschlag im Wind der Zeit. Während Henri Keup’s Worten erwachten tausend Erinnerungen. Die allermeisten waren positiv gefärbt; ich habe die Entscheidung, damals „ja“ gesagt zu haben, nie bereut. Es war schon eine aufregende Reise: die Gewässer, die das Boot des Cliärrwer Kanton zu durchqueren hatte, waren nicht immer friedlich, die Wettergötter keineswegs immer wohlgesinnt. Die wohl schlimmste See herrschte während dem Einsatz für die Nordstraße, die heutige A7, die voraussichtlich am 23. September 2015 eröffnet wird. Wohl kaum eine Trasse in Luxemburg hatte derart viele Gegner auf den Plan gerufen. Von verbalen Schlachten bis zum anonymen Drohbrief, alle Regimente mitsamt Reserven wurden mobilisiert. Dann brachte De Cliärrwer Kanton 1997 eine Sondernummer heraus „Ee Land, zwou Welten“, eine Schrift, die viel Beachtung fand. Unvergessen in diesem Dossier auch der Mut von Minister Robert Goebbels, der das Projekt dann schließlich gegen erbitterten Widerstand durchboxte.

Aber diese Zeilen sollen keine Auflistung der Gärten sein, in denen unsere Vereinigung versucht hat, Hoffnung zu züchten.

René Maertz hat in einer Präsidentschaft die Richtung des Vereins vorgezeichnet. Kulturelle Zeitschrift, im Dienst von Geschichte, Literatur, Poesie und Kunst, aber auch Sprachrohr einer Region, die vor dem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zusammenbruch stand. „Für uns“ schrieb er erbittert, bleiben nur „Eintagsfliegen und gebratene Schneebälle“. Aber es hat dann doch einen Ruck gegeben, eine Bewegung schaukelte sich von ganz unten bis nach oben. Die gesamte Regierung fand sich im Clerfer Schloss ein, um mit regionalen Vertretern zu beraten! Wenig später war die Gründung des interkommunalen Syndikats SICLER eine Sternstunde für den Wiederaufbau einer schwer angeschlagenen Gegend.

Es hat in den drei letzten Jahrzehnten eine grundlegende Veränderung auf gesellschaftlichem, wirtschaftlichem und touristischem Plan gegeben. Aber verschiedenes ist gleich geblieben: in so manchen Köpfen, vermeintlich klugen und anderen, ist das Ösling immer noch Luxemburgs Sibirien. Ja, es gibt sie noch, die abfälligen Bemerkungen über diese Region, „wou d’Welt matt Brieder zougeneelt ass“. Sie lebt noch, diese latente unterschwellige Feindseligkeit. „Les mal-aimés du nord“ schrieb Tony Bourg. Das sich Lustigmachen über „déi van douawwen“. Natürlich kann man über solche Voreingenommenheit nur grinsen, da die Nordspitze in vielerlei Hinsicht wirklich Spitze ist und durchaus selbstbewusst und zukunftsorientiert punktet. Voraussetzung dafür ist allerdings ein geschlossenes Auftreten, auch wenn bei verschiedenen Akteuren das Denken leider kaum weiter als die Gemeindegrenze reicht. Wichtig wäre auch ein manchmal entschiedenes und solidarisches Auftreten der neun Norddeputierten.

Die Erfahrung, sagt ein chinesisches Sprichwort, ist ein Kamm ohne Zähne. Ein solcher kämmt schlecht. Der Versuch, Erfahrungen an andere weiterzugeben versuchen ist ein solcher Kamm. Nur das selbst Erlebte kommt an. Eine solche Erfahrung habe ich in den 30 Jahren gemacht, und zwar, dass verschiedene Posten einsam machen. Der Präsident eines Vereines, und sei es auch nur jener eines bescheidenen Vereines, wird merken, wie allein er manchmal da steht. „If you are looking for a helping hand, it’s at the end of your arm“ habe ich mal gelesen. Es gibt Momente wo man allein auf sich gestellt ist, ohne ein Wort der Ermutigung, ohne nennenswerte Unterstützung. Von verschiedenen Mitspielern habe ich in der ganzen Zeit nicht ein einziges Mal eine zustimmende Aussage erhalten. Das gehört zum Job. Dennoch, das Alleinstehen im Regen hinterlässt Spuren, es lässt einen aber auch reifen, entschlossener werden, Erkenntnis und Weisheit sammeln.

Über 100 dieser Leitartikel hat es gegeben, naturgemäß von unterschiedlicher Thematik und Güte. Allein, das Echo, ob Kritik, Anmerkung oder Lob, war verhalten. Es hat kaum eine Reaktion gegeben, in der Regel hält sich die verehrte Leserschaft vornehm zurück. Freund Jean Jaans sagte mir einmal, dass eine einzige Reaktion eigentlich stellvertretend für zehn sei. Auch er erzählte mir, dass er auf seine unzähligen, oft bissigen oder nachdenklichen Artikel nur äußerst selten einen Kommentar erhielt.

Die Frage ist auch, ob das unentgeltliche Engagement in einer kulturellen Vereinigung wie „De Cliärrwer Kanton“ ausreichend anerkannt wird. Mag möge mich nicht missverstehen: ich bin eigentlich kein Freund von Schulterklopfen, und es geht nicht um das Verteilen von Medaillen. Aber ein anerkennendes Wort hat selten geschmerzt. Es geht letztendlich darum, ob eine ehrenamtliche Tätigkeit im kulturellen Bereich im Vergleich mit anderem freiwilligem Einsatz gerecht eingeordnet wird. Die Frage mag auch erlaubt sein, ob der Wert von den tausenden Cliärrwer Kanton-Seiten gebührend anerkannt wird, auch in der Region.

Auch wenn es einige schmerzhafte Episoden gegeben hat, die 30 Jahre Cliärrwer Kanton waren summa summarum eine schöne und spannende Zeit. Dafür danke ich.