André Bauler

Historisches und Zukünftiges

Auch 2018 ist ein Jahr der Gedenktage.

Zuerst sticht natürlich die Erinnerung an die Pariser Unruhen vor 50 Jahren ins Auge. Damals kam es zu Studentenrevolten in der französischen Hauptstadt. Die Studierenden lehnten sich gegen das konservative Establishment ihrer Zeit auf und forderten eine deutliche Verbesserung der Studienbedingungen. Die Unruhen schwappten auf andere Länder über, wie z.B. auf Deutschland oder die Vereinigten Staaten. Auch Luxemburg war betroffen; dies jedoch in keinem vergleichbaren Maße wie Frankreich. Das hatte vor allem damit zu tun, dass wir über keine eigene Universität verfügten.

Die Pariser Studentenrevolte im Mai 1968 veränderte die Gesellschaft

Die Geschehnisse im Mai 1968 veränderten Frankreich auf sozialer, kultureller und politischer Ebene. Der Ruf nach mehr Demokratie, die Kritik am politischen System und an den materialistisch-kapitalistischen Auswüchsen sowie der Ruf nach einer Beendigung des schrecklichen Vietnamkrieges erklärten diese historische Revolte zum großen Teil. Auch an anderen Demokratien Europas gingen die Ereignisse des Jahres 1968 nicht spurlos vorbei. Sie verwandelten langfristig die westlichen Gesellschaften.

Ein weiteres historisches Ereignis, das einen weiten Schatten wirft, ist ohne Zweifel der Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges am 23. Mai 1618, also vor 400 Jahren. Mit dem Prager Fenstersturz begann eine der dunkelsten Perioden in der europäischen Geschichte. Als „deutsche Tragödie“ betitelte DIE ZEIT in einem Magazin diesen Krieg. Als sich sowohl die Schweden als auch die Franzosen in das Geschehen einmischten, bekam dieser Konflikt eine europäische Dimension.

Der Dreißigjährige Krieg war nicht nur eine gewalttätige Auseinandersetzung zwischen den christlichen Konfessionen. Es handelte sich auch um einen Streit zwischen den Hegemonialmächten des 17. Jahrhunderts. Sowohl der Schwedenkönig Gustav II. Adolf als auch der französische Premierminister Richelieu griffen in diesen innerdeutschen Konflikt ein, weil sie die Dominanz der Habsburger zu schwächen versuchten.

1618 nahm eine europäische Katastrophe ihren Lauf

Der Lutheraner Gustav II. Adolf wurde 1632 in der Schlacht zu Lützen von den kaiserlichkatholischen Truppen besiegt. Kardinal Richelieu, der die deutschen Protestanten finanziell unterstützte, um den Kaiser zu bekämpfen, führte den Krieg in unseren Gegenden bis 1659 weiter. Auf dem Gebiet des alten Herzogtums Luxemburg schwelte der Konflikt noch nach 1648, dem Jahr des Friedens von Münster und Osnabrück, weiter. Im Spanisch-Französischen Krieg litten die Menschen des Herzogtums unter Hunger, Plünderungen, Terror und Pest. Noch Jahrhunderte später, kurz bevor der Erste Weltkrieg ausbrach, wurde der Dreißigjährige Krieg als europäisches Drama angesehen.
Demographische Statistiken, die mithilfe der Feuerstättenverzeichnisse erstellt wurden, zeigen auf, wie die Bevölkerung hierzulande unter dem Terror der kaiserlichen und französischen Soldateska schrumpfte. Der Historiker Pol Schiltz hatte bereits 2003 in vier Artikeln in der Zeitschrift „Heemecht“ die Lage im damaligen Herzogtum beschrieben. Rund 8.000 kaiserliche Söldner durchstreiften unser Land. Sie raubten und plünderten die Dörfer. Nichts war vor ihnen sicher. Nicht einmal Menschenleben. Unsere Vorfahren flüchteten in die Wälder, um sich in Sicherheit zu bringen und um sich vor Epidemien, die in den Dörfern und Städten grassierten, zu schützen.
Kein Wunder, dass die Bevölkerungszahl stark abnahm. Wurden im Jahre 1635 im Clerfer Kanton noch 544 Feuerstätten besteuert, so waren es 1656 nur noch 396; also etwas mehr als ein Viertel weniger.

Die Verfassung von 1868

Am 17. Oktober 2018 sind es auch 150 Jahre her, dass unser Land sein drittes Grundgesetz erhielt; eine Art Kompromiss zwischen der liberalen Verfassung von 1848 und der reaktionären, die König-Großherzog Wilhelm III. 1856 durchgesetzt hatte. 1868 kam es zu einer Verfassungsreform, die die politischen Freiheiten, wie z.B. die Pressefreiheit oder die Freiheit, sich in Vereinigungen zusammenzuschließen, wieder herstellte. Noch heute beruht unsere Verfassung, die im Laufe der Jahrzehnte mehrere Male überarbeitet und abgeändert wurde, auf dem Text von 1868. Im Frühjahr 2018 hat unser Parlament im Rahmen der Institutionskommission die Arbeiten am neuen Verfassungstext abgeschlossen. Die Änderungen werden den Bürgerinnen und Bürgern in absehbarer Zukunft vorgelegt und erläutert werden.

Das Ende des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren

Im November jährt sich zum 100. Male das Ende der Grande Guerre, ein traumatisches Erlebnis für Europa, vornehmlich für unsere beiden Nachbarn Deutschland und Frankreich. Bis zum 24. Dabei wurde besonders auf die spezifische, gesellschaftliche Lage im damaligen Luxemburg hingewiesen. Auch über unser Land brachte dieser Krieg Armut, Hunger und politische Instabilität. Nach dem Ersten Weltkrieg endete nach 75 Jahren die bewährte Zusammenarbeit mit dem deutschen Zollverein und stürzte unsere Wirtschaft in eine Krise. Die Monarchie wurde in Frage gestellt und das Land riskierte, einer ungewissen Zukunft entgegen zu gehen.
Mit zahlreichen Bilddokumenten und Artefakten veranschaulichte diese Ausstellung die Misere jener Zeit, auch wenn unser Land größtenteils von militärischen Operationen verschont blieb. Sie wies zudem darauf hin, dass es sich in einer Zeit, in der in manchen Ländern nationalistisches Gebaren wieder salonfähig zu werden scheint, lohnt, die europäische Wertegemeinschaft zu verteidigen. Die Bürger der EU, also auch wir Luxemburger, halten unser eigenes Schicksal in Händen. Blieben wir dem europäischen Gedanken gegenüber mehrheitlich gleichgültig und wollten nicht mehr dafür kämpfen, so wäre dieses einmalige Friedensprojekt zum Scheitern verurteilt. Die Erinnerungen an die Gräuel des Dreißigjährigen Krieges und an die der beiden Weltkriege sollten wir uns dabei stets vor Augen halten.

September 2018

Und noch ein denkwürdiges Datum steht ins Haus: Die Eröffnung des Clerfer Lyzeums. Hätte man noch Anfang dieses Jahrhunderts vorausgesagt, Clerf bekäme 2018 eine Europaschule und ein eigenständiges Lyzeum, so wäre dies in Frage gestellt worden. Dass das Lyzeum nun in einigen Wochen Realität wird, ist vor allem den jahrelangen Bemühungen unserer Vereinigung sowie der Unterstützung aus der Öslinger Bevölkerung zu verdanken. Ohne dieses zähe Engagement hätte die Sekundarschule in Clerf kaum noch in diesem Jahrzehnt das Licht der Welt erblickt.
Das neue Lyzeum, das nun Mitte September seine Türen öffnet, wird sicherlich kein Meilenstein in der gesamteuropäischen Geschichte sein. Doch für die Menschen und Gemeindeverantwortlichen aus dem Clerfer Kanton ist diese Schule eine einzigartige, ja historische Errungenschaft.

Wir danken deshalb allen, die zu diesem Projekt beigetragen haben, und wünschen der neuen Schulgemeinschaft viel Glück und Tatkraft auf ihrem Weg in die Zukunft.
An uns liegt es nun, die Weichen für eine gelingende Zukunft zu stellen. Hätten wir uns 2001, als man das Projekt noch belächelte und gar für unrealistisch hielt, sofort geschlagen gegeben, würden das Clerfer Lyzeum und seine Europaschule möglicherweise nicht in Bälde ihre Arbeit aufnehmen können. Es bedarf eben einer gewissen Hartnäckigkeit, wenn man Beständiges zum Wohle einer Region leisten will.

Das trifft auch auf andere Unterfangen im Kanton zu, etwa auf die Gemeindesyndikate oder auf den Naturpark Our. Hier setzen sich viele Menschen dafür ein, dass die Nordspitze des Landes über adäquate Infrastrukturen und Dienstleistungen verfügt.

Der ländliche Raum ist eben auf den Einsatz innovativer Bürger angewiesen, sei es in der Kommunalpolitik oder auf den unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen; in der Kultur, auf sozialem Gebiet oder in der Privatwirtschaft. Dieses Engagement von unten nach oben – statt von oben herab – ist die wahre Erklärung für den Erfolg unserer Region. Hätten sich die Verantwortlichen nicht derart eingebracht, stünde der Clerfer Kanton heute nicht da, wo er jetzt nun einmal steht.

Dennoch bleibt noch manches zu tun, damit die Nordspitze den Anschluss an die Gesellschaft von morgen nicht verpasst – denken wir nur an die digitalen und sozialen Herausforderungen. Wir werden uns diesem Thema in unserer kommenden Spezialnummer widmen, indem wir Bürger der Nordspitze diesbezüglich zu Wort kommen lassen.