André Bauler

Eine Erfolgsgeschichte

1979 wurde der Verein „De Cliärrwer Kanton“ gegründet. Aus der Not, ja quasi aus Verzweiflung heraus. Man nannte ihn „Veräin fir dat kulturellt Liäwwen“. Also eine kulturelle Vereinigung. Doch es waren zuerst einmal wirtschaftliche und soziale Anliegen, die das anfängliche Engagement seiner Gründer bestimmten. Kein Wunder, denn wenn das kulturelle Leben gelingen soll, muss das ökonomische und soziale Umfeld stimmen.

Damals kämpfte die Nordspitze des Landes mit dem Phänomen der Landflucht, wie wir sie noch heute aus anderen Teilen Europas kennen. Viele Menschen des „Éislek“ zogen in südlichere Landesteile, da sie keine Arbeit im nördlichsten Kanton fanden.

Dieser „Exodus“ sollte die schwierige wirtschaftliche und soziale Lage des Nordzipfels nur noch verschlimmern. Immer weniger junge Menschen und Familien wollten hier leben. Nicht, weil sie ihrer Heimatregion nicht innerlich verbunden waren, sondern weil sie für sich und ihre Kinder schlichtweg keine Zukunft sahen. Die regionale Wirtschaft des von der Landwirtschaft dominierten Kantons war zu einseitig aufgestellt. Es mangelte an sozialen Diensten und modernen Infrastrukturen; von regionaler Zusammenarbeit war erst gar nicht die Rede.

Das rief etliche Idealisten auf den Plan. Unter ihnen Pädagogen wie Schulinspektor René Maertz und Literaturprofessor Tony Bourg, die Lehrer Robert Dichter und Lex Jacoby, den Juristen und Regierungsrat Paul-Henri Meyers, die Landwirte Aloyse Kohnen und Mathias Johanns, Geometer Emil Hansen, Ingenieur Aloyse Nosbusch oder den Studenten Belty Eicher, um nur sie zu nennen.

Mit der Gründung der Vereinigung „De Cliärrwer Kanton“ entstand so eine Art Sprachrohr, eine Lobby, um den aktuellen Journalistenjargon aufzugreifen. Diese engagierten Bürger trugen mit ihrem entschiedenen Engagement dazu bei, einen Prozess des Umdenkens einzuläuten. Sie machten mit ihren Aktionen und Schriften auf die missliche Lage des Kantons aufmerksam.

Dies mit Erfolg, wie wir heute feststellen dürfen. Denn vor genau 35 Jahren, am 16. März 1984, bewegte sich die damalige Regierung nach Clerf, um sich mit kommunalen und gesellschaftlichen Akteuren zu treffen und auszutauschen. Diskutiert wurde unter anderem über die „administrative Verödung“, die „grobe Vernachlässigung“ sozialer Probleme sowie die mangelnde Reaktion des Staates in Anbetracht der wirtschaftlichen Lage des Kantons. Zu lange hatte man in der Hauptstadt, aber auch vor Ort selbst, die „brennenden Probleme“ verdrängt und ausgesessen.

Der zähe Einsatz unserer Gründerväter sollte sich alsbald lohnen. Sicherlich konnte niemand von einem Tag auf den anderen die schwelenden Probleme wegwischen. Aber die Gründung unseres Vereins war sozusagen der Startschuss in eine bessere Zeit. Es war der Anstoß für interkommunale Initiativen, für das Überwinden der Kirchturmpolitik, für ein geschlossenes Auftreten gegenüber nationalen Instanzen, von denen engagierte Bürger nicht mehr und nicht weniger als Respekt und Gehör verlangten.

Der Prozess der allmählichen Gesundung brauchte Zeit und das unermüdliche Engagement ziviler sowie kommunaler Vertreter. Öffentliche und private Investitionen schafften Arbeitsplätze. Dies führte zur demographischen Wende. Heute können wir mit großer Zufriedenheit auf das zurückblicken, was geleistet worden ist; besonders dank der interkommunalen Zusammenarbeit.

Dennoch bleiben einige Baustellen unabgeschlossen, wie z. B. die Neugestaltung des Notdienstes, die überfällige Umgestaltung der N7, der Ausbau des Lyzeums, die administrative Dezentralisierung, die Diversifizierung der kantonalen Wirtschaft; hier sei an die Stichwörter Kreativwirtschaft und (Kunst-)handwerk erinnert.

40 Jahre später müssen wir uns erneut mit zahlreichen Zukunftsfragen auseinandersetzen. Wie sollen unsere Dörfer 2030 aussehen? Was können die Gemeinden und die Zivilgesellschaft konkret tun, damit sie lebenswert bleiben? Wie können sie den sozialen Zusammenhalt stärker fördern? Wie können wir den vielfach noch organisch gewachsenen Charakter unserer Ortschaften und unserer Kulturlandschaft bewahren, damit sie für eingesessene und neue Einwohner attraktiv bleiben? Was können wir tun, um den öffentlichen Transport zu verbessern? Wie können wir die kulturelle Bildung gezielter fördern? Wie können wir günstige Arbeitsbedingungen für kreativ schaffende Menschen ermöglichen? Wie lassen sich die Ortszentren in Clerf, Hosingen und Ulflingen anziehender gestalten und neu beleben ?

Dezentralisierung und Digitalisierung sind wichtige Voraussetzungen für mehr Arbeitsplätze auf dem Land, für weniger Pendelverkehr und ein besseres ökonomisches Verhältnis zwischen Stadt und Land. Wer eine harmonische Entwicklung des ländlichen Raums anstrebt, muss sich dieser Aufgabe stellen. Dafür braucht es eine klare Strategie. Digitalisierung, medizinische Grundversorgung, attraktive Mobilitätsangebote sowie Anreize für innovative Unternehmen sind nur einige Stichwörter in diesem Kontext.

In den letzten 40 Jahren haben unsere Vorgänger und wir selbst viel erreicht. Ohne die Aktionen des „De Cliärrwer Kanton“ wäre die so genannte „Nordstrooss“ – eigentlich ist es ja eine Zentrumsstraße – in den 80er und 90er Jahren nur schleppend thematisiert worden. Auch bedurfte es langwieriger Anstrengungen, um das Projekt eines Lyzeums umzusetzen.

Wird uns in diesem Zusammenhang gelegentlich unterstellt, wir seien eine regionale Lobby, dann nehme ich dieses „Kompliment“ dankend an. Diese Form des „guten Lobbyismus“ hat sich jedenfalls für die Bewohner unseres Kantons und ihrer Kinder gelohnt. Das Lyzeum ist ein Stück Zukunft und wir werden uns auch weiterhin für seinen Ausbau stark machen, damit Platz für handwerkliche Ausbildungen geschaffen wird.

Wir sollten das Jahr 2019 nicht einfach so verstreichen lassen. Feiern, ja; aber eben nicht nur. Es ist eine gute Gelegenheit innezuhalten, auf das Geleistete zurückzuschauen, um dann aber den Blick unverzüglich nach vorne zu richten.

Denn es steht noch so manches an, wofür wir uns stark machen sollten. Von überfälligen Infrastrukturprojekten bis hin zu Initiativen, die unsere Kulturlandschaft und unsere Natur schützen. Auch richte ich einen Appell an Sie, liebe Leser. Helfen Sie uns dabei, junge Menschen für unsere Arbeit zu begeistern, damit sie sich bei uns engagieren mögen und uns so helfen, dem „Éislek“ auch in Zukunft ein dienliches Sprachrohr zu bewahren.

Abschließend möchte ich sowohl meinen Vorgängern im Amt des Vorsitzenden als auch allen jetzigen und ehemaligen Mitgliedern unseres Verwaltungsrates für ihren Einsatz, ihre Treue und ihren Initiativgeist danken.

Dank auch Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, dass Sie uns in den vielen Jahren seit der Gründung unserer Zeitschrift treu geblieben sind. Das hat uns den nötigen Rückhalt und die moralische Stärke gegeben, die wir brauchen, um so manches Unterfangen zu einem glücklichen Ende zu führen.

Ad multos annos „De Cliärrwer Kanton“!