André Bauler
Handeln und umdenken in und nach der Krise
In den letzten Wochen und Monaten wurden wir mit den einschneidenden Folgen einer bisher einzigartigen Viruskrise konfrontiert. Sie hat auch unserem Ösling schwer zugesetzt. Seinen Menschen, seinen Betrieben, seinem Tourismus, seiner Kultur, seinen Vereinen. Seit Mitte März ist alles anders als vorher. Wir sahen uns gezwungen, uns zeitweise zurückzuziehen und unser Leben komplett umzustellen.
Die Pandemie sowie die mit ihr einhergehenden wirtschaftlichen, kulturellen, pädagogischen, psychologischen und gesellschaftlichen Konsequenzen fordern uns heraus. Sie stellen uns unter anderem auch und gerade vor die Frage, wie wir uns nach der Krise aufstellen sollen: Können wir so weiter machen wie bisher? Welche Lektionen lassen sich aus dieser gravierenden Situation für die Zukunft ziehen?
Die Wirtschaftsgeschichte zeigt uns, dass Krisen, trotz aller Rückschläge und schweren, finanziellen Verluste, auch neue Chancen aufweisen. Die Corona-Pandemie hat in der Tat zu neuen Erkenntnissen geführt und unerwartete Energien mobilisiert, besonders wenn man an die vielen, beachtenswerten Aktionen zwischenmenschlicher Solidarität denkt.
Auch in Sachen Digitalisierung ist es zu einer neuen Entwicklung gekommen. Obwohl sich dieser Prozess noch in den Kinderschuhen befindet und sicherlich kein völliger Ersatz für wahre menschliche Kontakte und kreatives Zusammenarbeiten darstellt, hat er es dennoch ermöglicht, dass Teile der Bevölkerung ihre Arbeit von zu Hause aus, wenn auch mit Einschränkungen, fortsetzen konnten und können.
In diesem Bereich führt die Krise beispielsweise ungewollt und schneller als angenommen zu neuen Erkenntnissen, die der so genannten Telearbeit, dem Homeoffice also, einen neuen, definitiven Schub verleihen könnten. Die einzigartige Notfallsituation, in der wir uns im Frühjahr befanden und beim Erscheinen dieser Ausgabe noch immer, wohl mit einigen Lockerungen, befinden, wird sozusagen zum Testszenario für dieses Arbeitsmodell, das sich, dort wo es Sinn macht und sogar notwendig ist, in verschiedenen Wirtschaftsbranchen mehr oder minder umsetzen lässt. Auch wird es wahrscheinlich zu einem weiteren Innovationsschub in Sachen IT-Sicherheit kommen, damit die Heimarbeit noch besser umgesetzt werden kann.
Als „De Cliärrwer Kanton“ hatten wir uns schon zwischen Januar und März 2020, also kurz vor dem Ausbruch der eklatant brutalen Krise, sehr stark für die Idee der administrativen Dezentralisierung als auch der Verstärkung der Telearbeit ausgesprochen. Dies käme insbesondere den Menschen des ländlichen Raums zugute. Warum sollte man nicht darüber nachdenken, von fünf Arbeitstagen deren ein bis zwei im Homeoffice zu bewältigen? Jetzt schon kenne ich junge Bürger aus dem Kanton Clerf, die mit Erfolg und Zufriedenheit ihre verwaltungstechnische Arbeit teilweise von Zuhause aus bewältigen und von ihrer Dienststelle dementsprechend ausgestattet wurden.
An dieser Stelle möchte ich noch einmal an das lobenswerte Beispiel der „Zukunftskeess“ erinnern, die ein „Coworking-Space“ in Marnach eröffnet hat und damit ihren Beamten erlaubt, zeitweise nahe ihres Wohnortes zu arbeiten. Das erspart ihnen lange Wege zur Arbeit, es reduziert folglich den Zeitaufwand, der mit dem Transport verbunden ist, schont die Umwelt und erlaubt etwas mehr Zeit für Familie sowie Freizeit. Digitalisierung und Telearbeit, gezielt und verträglich eingesetzt, sind hier von Vorteil und stärken die Lebensqualität unserer Mitbürger. Wie sagte mir im Mai einer unserer jüngeren Leser: „In der Krise musste ich im Homeoffice arbeiten; dies erlaubte mir während der Mittagsstunde mit meinen Kindern zu sprechen und die frisch gesetzten Salatpflänzchen im Garten zu gießen.“
Alles in allem führt diese einzigartige Krise zu einem Umdenken. Massive staatliche Eingriffe sind unumgänglich gewesen, um Arbeitsplätze und Betriebe zu retten. Investitionen in öffentliche Infrastrukturen sind mehr denn je erfordert. Man denke bloß an den enormen Investitionsnachholbedarf in Deutschland, das mit seiner Politik der schwarzen Null zwar beträchtliche Reserven aufgehäuft hat, jedoch sträflich versäumte, in Bereiche wie Digitalisierung, Gesundheits- und Pflegewesen, schulische Einrichtungen oder auch noch in Bahn- und Straßeninfrastrukturen zu investieren.
Zudem müssen wir entschiedener in Forschung und Entwicklung investieren und die Herstellung strategisch wichtiger Produkte, wie zum Beispiel bestimmter Medikamente, nicht noch weiter nach Asien auslagern. Hier gilt es den Globalisierungsprozess mehr denn je kritisch zu hinterfragen.
Luxemburg wurde bei Ausbruch der Krise, ähnlich wie andere Staaten, kalt erwischt. Doch glücklicherweise hatte es eine exzellente Ausgangsposition. Stabile Staatsfinanzen, eine übersehbare Staatsverschuldung (20% des Bruttoinlandproduktes) und öffentliche Investitionen auf hohem Niveau (2,8 Milliarden Euro). Dies erlaubt es uns nun, dass wir, trotz aller Probleme und trotz vieler individueller Nöte, besser als andere Länder aufgestellt sind, um unserer arbeitenden Bevölkerung unter die Arme zu greifen und unser Land in eine gute Zukunft zu führen. Im Parlament sprach sich eine breite Mehrheit für auch weiterhin hohe Investitionen sowie gegen Steuererhöhungen aus.
Mir liegt es persönlich am Herzen, dass wir nicht nur bereit sind, aus dieser Krise zu lernen, sondern auch tatsächlich unser eigenes Handeln zu hinterfragen. Stichwort Eigenverantwortung. Stichwort Rücksicht. Die sanitäre Krise lädt uns ein, über unsere Konsumgewohnheiten nachzudenken.
Müssen wir denn so viele Waren über Internet aus dem weiten Ausland bestellen? Als digitaler Nachzügler bin ich Gott sei Dank dieser Versuchung nicht erlegen. Weshalb wollen wir nicht mehr auf unsere Händler und Handwerker vor Ort zurückgreifen? Z.B. auf unseren Buchhändler, bei dem wir Bücher, die wir kaufen, auch noch anfassen sowie durchblättern können und der uns kompetent berät – im Kanton Clerf haben wir ja glücklicherweise noch zwei Buchhandlungen. Übrigens: Alle Bücher unserer Bibliothek in Ulflingen wurden bei einheimischen Händlern gekauft.
Wir sollten also demnach bereit sein, durch unser eigenes Kaufverhalten eine wesentlich nachhaltigere Wirtschaft konkret zu unterstützen und damit vielen Selbstständigen dabei zu helfen, ihre Existenz zu sichern. Nutzen wir also die Sommerferien, um Ferien zu Hause zu machen, unsere gastronomischen Betriebe zu besuchen und uns einmal in unseren eigenen Hotels zu entspannen. Ich selbst habe dies Ende Dezember ausprobiert, den freundlichen Service genossen und unser Land dabei neu kennengelernt.
Auf jeden Fall sollten wir uns bewusst bleiben, dass die bisher größte Wirtschaftskrise seit den 1930er Jahren, obgleich herber Rückschläge, uns zu neuen Horizonten und Chancen führen kann. Lassen Sie uns diese große Herausforderung annehmen!