André Bauler

Zeit zum Umdenken

2020 wird wohl als denkwürdiges Jahr in die Geschichte eingehen, als Krisenjahr, das uns alle wachgerüttelt hat. In der Tat, dieses Jahr hat uns die Grenzen sowohl unseres Daseins als auch unserer wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung vor Augen geführt. Wir denken an die vielen Menschen, die unter den Folgen dieser Viruskrise leiden. Und insbesondere an jene Mitbürger, die durch die Pandemie den Tod eines lieben Menschen zu beklagen haben.

Am Ende dieses außergewöhnlichen Jahres gilt daher zuerst einmal unsere Hochachtung und Wertschätzung all den Menschen, die ab März Großes in unserer Gesellschaft geleistet haben, damit wir die Covid-19-Krise, die seit Frühling die ganze Welt in Atem hält, den Umständen entsprechend überstehen können.

Die aktuelle Krise, die wir wohl oder übel durchstehen müssen, trifft etliche Menschen schwer. Sie belastet unsere Familien und stellt unsere Kliniken, Schulen, Betriebe, Verwaltungen sowie unser Vereinsleben auf eine äußerst harte Probe. Sie führt auch zu materiellen Existenzängsten.

Aufgrund des abrupten wirtschaftlichen Abschwungs, der seit April unsere Volkswirtschaften kennzeichnet, hat die öffentliche Hand so manches in Bewegung setzen müssen, um die entstandenen Schäden zu begrenzen. Überall in Europa sieht sich der Staat gezwungen, Schulden aufzunehmen, um sanitäre und wirtschaftsfreundliche Maßnahmen zu finanzieren. Zusätzliche Schulden erfreuen niemanden. Sie belasten die Zukunft der kommenden Generationen. Doch was wäre die Alternative zu dieser politischen Reaktion gewesen?

Die Pandemie ist ein externer Schock, den niemand erwartet hat. Der massive staatliche Interventionismus sowie die mit ihm verbundene Verschuldung quer durch die europäische Union hatten als vorrangiges Ziel eine vor der Krise überwiegend gesunde Wirtschaft zu stützen. Ökonomen fragen daher zu Recht, wie viel teurer es geworden wäre, hätte man auf diese einschneidenden Maßnahmen weitgehend verzichten wollen. Wie viel kostspieliger wäre es also geworden, müsste man späterhin eine komplett kranke Volkswirtschaft neu beleben?

2020 erinnert mich zudem an den Ausbruch der Pest im Jahre 1634. Damals setzte diese extrem ansteckende Krankheit zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges dem Herzogtum Luxemburg arg zu und ließ seine Bevölkerung stark zurückgehen. Etliche Dörfer wie Oberkolpach, Everlingen oder Wolwelingen starben durch diese Epidemie sowie infolge der Überfälle durch feindliche Söldner völlig aus.

Das Sterbejahr 1636 ging auch noch als « année folle » in das kollektive Gedächtnis ein, als „verrücktes“ Jahr also, weil jeder jeden heiratete, also ohne Rücksicht auf den Stand, damit die Bevölkerung nicht aussterbe. 14.000 kroatische und 9.000 polnische Söldner hausten damals nahe der Ortschaft Nobressart. Sie quälten die Menschen fürchterlich, verbrannten sie bei lebendigem Leib und schnitten ihnen Nasen, Ohren und Genitalien ab.

Seit Mitte des 14. Jahrhunderts wird Europa regelmäßig von Pandemien, wie z.B. der Pest (1346- 1353), der Cholera (1860-1866) oder auch noch der Spanischen Grippe (1918-1920) heimgesucht. Covid-19 gesellt sich nun zu diesen tragischen Ansteckungen und setzt uns allen zu. Im Gegensatz zu unseren arg gebeutelten Vorfahren verfügen wir aber heute über ausreichend Mittel und Instrumente, um uns einigermaßen zu schützen. Glücklicherweise steht diese Pandemie nicht im Zusammenhang mit militärischen Konflikten, wie dies der Fall im 17. und frühen 20. Jahrhundert war. Auch trachtet niemand nach unserem Leben oder wollte unsere Wohnungen abfackeln.

Dennoch wird die derzeitige Pandemie als ein einschneidendes Ereignis empfunden, das vielen Menschen bitter zusetzt. Doch in jeder Krise liegt auch eine Chance, ein Hauch von Neuanfang. Krisen interpellieren uns. Sie fordern uns heraus und stellen Fragen wie: Wollen wir so weitermachen wie bisher? Müssen wir nicht doch etwas ändern? An unseren Produktions- und Konsumweisen? An unserem gesellschaftlichen Zusammenleben? An unserem Verhalten gegenüber Fauna und Flora?

Die Antwort heißt klar: Ja!

Stichwörter sind in diesem Kontext z.B. Nachhaltigkeit unseres Wirtschaftssystems, Widerstandsfähigkeit unserer Wertschöpfungsketten oder auch noch ein Mehr an Qualität und Gerechtigkeit in unseren menschlichen Beziehungen.

Die Krise lädt uns zudem dazu ein, innovativer zu werden, uns wieder auf das Wesentliche in unserem Leben zu besinnen. Was ist uns wichtiger? Flüchtige Begegnungen oder vertiefte, echte menschliche Beziehungen? Die immense Vielfalt an Produkten oder vielmehr die Qualität derselben? Massenevents oder überschaubare, qualitativ wertvolle Veranstaltungen?

Ich denke, wir müssen zukünftig unser Leben bewusster gestalten und uns an weniger mehr erfreuen.

Zufriedenheit ist eine der Voraussetzungen für ein erfülltes Leben. Man muss nicht alles sein und auch nicht alles haben. Um glücklich zu sein, muss man auch nicht unbedingt die halbe Welt mit dem Flugzeug oder dem Kreuzfahrtschiff bereisen. Es kommt vielmehr darauf, dass man ein gutes Leben führt und dazu gehört eben auch in Harmonie mit der Natur und unseren Mitmenschen leben zu wollen sowie Respekt und Rücksicht zu üben.

Während der Covid-Krise haben viele Menschen sich gegenseitig geholfen und neu schätzen gelernt. Nachbarschaftshilfe wurde, dort wo erfordert, schnell und unkompliziert geleistet, so dass Solidarität für viele Menschen keine abgedroschene Floskel mehr war. Der soziale Zusammenhalt wurde nicht nur in Sonntagsreden beschworen, er wurde konkreter gelebt und erfahren.

Das Weihnachtsfest und Sylvester werden wir wohl etwas bescheidener und im kleineren Kreise feiern müssen, bis dass der Sturm hoffentlich im neuen Jahr an uns vorbeigezogen ist.

Nutzen wir die besinnlichen Tage des sich nun allmählich verabschiedenden Jahres, um über uns nachzudenken, uns neu zu orientieren und um innere Energie zu schöpfen.