René Maertz
Randgebiet oder Gebiet am Rande
Der von der Regierung in Auftrag gegebene erste Plan bezüglich der wirtschaftlichen Wiederbelebung der Nordspitze unseres Landes liegt bei Redaktionsschluß noch nicht vor. In Erwartung seiner Fertigstellung möchten wir noch einmal eindringlich darauf hinweisen, daß das Absterben unserer Gegend möglicherweise nur wenig Bedeutung für die ökonomische Entwicklung des Landes, für die Luxemburger als Nation aber weittragende Folgen haben würde. Grund und Gründe genug, um der Oeslinger Frage politische und wirtschaftliche Priorität einzuräumen!
Wir übersehen nicht, daß sowohl der Staatsminister als auch der Minister für öffentliche Bauten und der Innenminister während der Herbstmonate in öffentlichen Reden die Bemühungen und Ziele unserer Vereinigung positiv angesprochen haben. Darüberhinaus sind in den vergangenen Wochen in der Abgeordnetenkammer die Probleme des Oeslings von verschiedenen Deputierten erwähnt und beleuchtet worden. Wir behalten uns vor, in der nächsten Nummer unserer Zeitschrift näher auf die einzelnen Interventionen einzugehen.
Vor allem verdient die Debatte über die Zukunft des Fremdenverkehrs in unserem Lande besondere Aufmerksamkeit, ist doch die Tourismusindustrie im Regierungsprogramm als eine der beiden wichtigsten Erwerbsquellen vorgesehen.
Um Mißverständnissen vorzubeugen sei festgehalten, daß wohl der Großteil der Bevölkerung die Bedeutung der Tourismusindustrie einsieht: sie schafft einige hundert Arbeitsplätze; sie gestattet vielen Geschäftsleuten und Gewerbetreibenden, mit mehr oder weniger Erfolg über die Runden zu kommen; zudem erlaubt sie einer Anzahl von Mitbürgern, sich ein Zubrot durch Zimmervermietungen zu verschaffen.
Hoteliers und Restaurateure leben in erster Linie vom Tourismus. Angesichts dieser Tatsache wird kaum jemand etwas einzuwenden haben, wenn die staatliche Autorität den Hoteliers finanzielle Hilfen bei Modernisierungen gewährt.
Im Prinzip ist es ebenfalls begrüßenswert, daß die Besitzer alter Bauernhäuser ermutigt werden, diese wieder instand zu setzen um sie als Touristenwohnungen anzubieten.
Allerdings bedeutet ein Mehr an Touristenwohnungen dieser Art ein Weniger an Wohnraum für Einheimische. Sollte man also nicht gleichzeitig Überlegungen darüber anstellen, ob bei einer zu erhoffenden Industrieansiedlung genügend Wohnraum für die Arbeitskräfte zur Verfügung steht? Wäre nicht eben in dieser Frage ein erster Ansatz zu einem konkreten, einleuchtenden Gesamtplan für die wirtschaftliche Erneuerung zu suchen?
Die Anstrengungen der, staatlichen ebenso wie die einiger kommunalen Autoritäten laufen darauf hinaus, den typischen Charakter unserer Ortschaften zu erhalten, soweit dies überhaupt noch möglich ist. Fast wäre man versucht zu glauben, bislang sei die Sensibilisierung der Bevölkerung betreffs der Erhaltung alter architektonisch kaum ersetzbarer Bauten gleichwie die Information über Planung und Finanzierung der Restaurierungsarbeiten wenig erfolgreich gewesen. Es wäre interessant, genau zu ermitteln, wie viele von den fast 3000 restaurierten Altbauten unseres Landes in unserer Gegend gelegen sind.
Wir erwarten mit großem Interesse die Modalitäten und vor allem die Resultate der Kampagne, die das Ministerium für kulturelle Angelegenheiten für die Jahre 1983 bis 1985 unter dem Motto « Eist Duerf soll liewen » angekündigt hat.
So sehr wir auch diesem Unternehmen einen vollen Erfolg gönnen, so müssen wir doch befürchten, daß, angesichts des sehr dünnen wenn auch hochqualifizierten Personalbestandes der staatlichen Dienststelle sowie der knappen Finanzmittel, ein äußerst Ungewisses Resultat vorauszusehen ist. Deshalb schlägt der Vorstand des « Cliärrwer Kanton » vor, ein regionales Gremium zu schaffen, das vor allem die Bemühungen der staatlichen Dienststellen in puncto Aufzeigen der erhaltenswerten Bauten, Information der Bauinteressenten sowie Sensibilisierung der einheimischen Bevölkerung, mit den geeigneten Mitteln unterstützen würde.
Zurück zum Tourismus! Die Kampagne, die in vielen Ländern gegen die Auswüchse des Fremdenverkehrs geführt wird, darf zur Zeit weder minimisiert noch totgeschwiegen werden. Wenn unter vielen Medienbeiträgen zu diesem Thema eine der angesehensten europäischen Publikationen einen Artikel unter der Überschrift « Hilfe, die Touris kommen! » brachte, so reflektieren die darin enthaltenen Angriffe wohl die Klagen und Ängste jener Menschen, die kaum ein primäres Interesse am Tourismus haben. In der Tat sind wohl jedem von uns schon die – zum Teil unvermeidlichen – negativen Aspekte des Massentourismus aufgefallen: überhöhter Lärmpegel, wachsende Gefahren im Verkehr und gelegentlicher aber immerhin ernst zu nehmender Vandalismus.
Im Grunde genommen geht es darum, die Interessen beider Gruppen zu untersuchen und daraufhin vernünftig zu planen; und zwar auf mittlere und lange Sicht. Hektische Betriebsamkeit und pseudo-logische Schmeicheleffekte zeitigen meist nur neue Differenzen. Da nun aber diese Streitigkeiten sicherlich vermeidbar sind, sollte man sie auch tunlichst vermeiden.
Neue Ideen müßten zur ausgewogenen Förderung des Tourismus gesucht werden. Und nun muß man sich fragen, sind neue Ideen, brauchbare Vorschläge so unauffindbar: wäre z.B. ein mehr landschaftsspezifisches bodenständiges Freizeitangebot nicht realisierbar? Muß es stets die phantasielose stereotype touristische Rummelofferte sein?
Manche Oeslinger machen sich Sorgen angesichts der ständig fortschreitenden « Erschließungen » der stillsten Winkel, jener Ecken, wo Landschaft mit Flora und Fauna noch fast intakte Ruhe bieten. Man zittert bei dem Gedanken, daß die Herde der Plastik- und Betonkulturförderer auch diese letzten Reserven der Stille entdecken könnten.
Letztlich geht dieser Disput über die Frage, ob eine immer rücksichtslosere Ausweitung der sogenannten touristischen Infrastruktur nicht für manche Menschen eine Kumulation der Nachteile des mehr ländlichen Lebensraumes mit den Nachteilen des hastigen und hetzenden Stadtlebens bedeutet.
Man sollte die Aussprache mit den Bürgern fördern und eine konsequente, kohärente Gesamtplanung vorsehen, die dann auch den Interessen aller Bürger gerecht würde und langfristig wohl nicht ohne Früchte bliebe. Menschenfreundliche und landschaftskonforme Entwicklung würden auch jene regionale Solidarität fördern, die notwendig ist, um ein Übergreifen der wenig nützlichen Antitourismuswelle zu verhindern.