Léon Braconnier
Augenblick mal…
Als vor 30 Jahren De Cliärrwer Kanton gegründet wurde, thronte die Benediktinerabtei schon an die 70 Jahre über dem Ardennerstädtchen und fragte sich wohl, was diese neue Vereinigung denn schon verändern könnte.
Natürlich wohnen die Mönche, auch wenn ihre Zahl abgenommen hat, noch genau wie damals über der kleinen Stadt. Und doch, so manches hat sich verändert, im Ort selbst, aber auch in den 332 Quadratkilometern des gleichnamigen Kantons. Das Clerfer Schloss ist vornehmer geworden, erzählt seine Geschichten nur noch im weißen Hemd. Und verweist voller Genugtuung auf die 503 Fotos der Family of Man in seinen Mauern, eine Ausstellung, die seit einigen Jahren von der Unesco zu den Schätzen der Menschheit gezählt wird. Mit der Family of Man, und als Cité de l’Image, wird das Städchen zur Missionarin des Friedens, zur Botschafterin der Toleranz und der Menschlichkeit.
Vor 30 Jahren erfreute eine der ersten Fußgängerzonen des Landes im Kantonalhauptort die Menschen. Bei der feierlichen Einweihung 1982 sagte Bürgermeister Wehrhausen den Einwohnern und Geschäftsleuten: « Wir haben Euch eine Stube gebaut, es liegt nun an Euch, sie zu möblieren. » Wer hat sie gezählt, die Umbauten, Schließungen und Eröffnungen, seitdem es die gute Stube gibt? Es sollten viele Jahre dauern, bis, etwas zaghaft, die ersten Handys in der autofreien Grand-rue klingelten. Heute trällern sie polyphon, vibrieren oder muhen allenthalben, die technikschwangeren, wenn auch teuren Gesellen.
Die Welt von 2009 ist reicher an Strahlen. Nicht unbedingt an Sonnenstrahlen, aber die erwähnten Mobiltelefone, das Sat-Fernsehen und Wireless jeder Couleur fordern ihren Tribut. Auch die Sendetürme in Marnach haben ihre Leistung erhöht, sehr zum Unmut vieler Betroffener. Wir alle stehen unter Dauerbeschuss und der Tag wird kommen, da man auch Menschen mittels Fernbedienung ganz bequem steuern kann.
In einer der ersten Nummern des Cliärrwer Kanton entdeckten die Leserinnen und Leser « Das veränderte Dorf », einen viel beachteten Artikel aus der Feder von Tony Bourg, Mitbegründer der Vereinigung. Der Professor beschrieb die damaligen Veränderungen auf dem Land, die gebrochene Macht der Kirche, den Wechsel der Berufe. Das Gesicht der Ortschaften hat sich tatsächlich verändert, manchmal brutal, manchmal schleichend. Neue Viertel sind aus dem Boden gestampft worden, « Résidences » mit fantasievollen, oft etwas pompösen Namen machen sich breit, und bunte Bungalows mit rechtwinkliger Grünfläche, Thuja-Hecke und Sat-Schüssel. Die Armee der Rasenmäher, Freischneider, Häcksler und Hochdruckreiniger wächst ständig, bedroht den dörflichen Frieden.
Lange viel umkämpftes Projekt, immer noch im Bau, die Nordstrasse, auch wenn heute die gefährliche Teilstrecke zwischen der so genannten Nordstadt und Wemperhardt im Mittelpunkt der Diskussionen steht. Mit der Fertigstellung einer sicheren und komfortablen Nord-Süd Trasse wächst unser Land so langsam zusammen. Auch auf belgischer Seite wird nun ernsthaft die Anbindung der N7 an die Autobahn in Sankt-Vith erwogen.
Seit 2 Jahrzehnten bündelt das Gemeindesyndikat SICLER Kräfte zum Wohle des Kantons. Hat dafür gesorgt, dass Gemeinden mit einer Stimme reden, dass Projekte regional angegangen werden. Dass Kirchturmpolitik durch Globalkonzepte ersetzt wird. Die Musikschule des Kantons ist ein stimmiges Beispiel dieses Zusammenspiels, ein fürwahr hörbarer Erfolg.
Hörbar, ja fühlbar, ist auch das Kulturhaus Cube 521 in Marnach. Binnen kürzester Zeit ist es zu einem Zentrum des kulturellen und sozialen Lebens an der Nordspitze geworden, bietet in edlem und komfortablem Ambiente Unterhaltung vom Feinsten. Streut Glück in alle Winde.
Und diese Winde streichen über die sanften Hügel, über Wiesen und Feldern, jäh stürzen sie von abrupten Felswänden in tiefe, gewundene Täler. Luxemburgs zweiter großer Naturpark hat hier, auf dem Dachboden Luxemburgs, das Licht der Welt erblickt! Eine rezente, unveröffentlichte und fürwahr nicht immer schmeichelhafte Studie im Tourismussektor hat ergeben, dass unser größtes Kapital die Natur ist, mit ihrer relativen Unberührtheit, mit ihrer Ruhe und Weite. Hier liegt ein Schatz vor uns, Tag für Tag. Schenken wir ihm Aufmerksamkeit!
Das neue Lyzeum, ein notwendiger Baustein für die Zukunft. 700 jungen Menschen soll es in hoffentlich nicht in all zu vielen Jahren Platz bieten. So langsam wachsen die entstandenen und zukünftigen Infrastrukturen zu einem harmonischen Ganzen. Am Ende wird dann auch das, was René Maertz nicht müde wurde, als « Gesamtplan » zu fordern, realisiert sein, selbst wenn er es nicht mehr erleben durfte.
Aber fragt nun die Abtei auf der Anhöhe, was denn aus dem 1979 geborenen Verein wurde? Wohl kaum, denn die beiden haben sich in der Zwischenzeit gut kennen gelernt. De Cliärrwer Kanton organisiert nämlich seit 1997 in ihren Mauern die « Journées du Chant Grégorien ». Und vermutlich lagern in der Klosterbibliothek, zwischen meist frommeren Zeilen, die 8000 abwechslungsreichen und spannenden Cliärrwer-Kanton-Seiten, auf die wir alle, so glaube ich, etwas stolz sein dürfen.