René Maertz

De Cliärrwer Kanton – Verein fir d’kulturellt Liäwen stellt sich vor

Vor etwa einem Jahr wurde der Verein « DE CLIÄRRWER KANTON » von einer Gruppe Bürger, die alle im Kanton Clerf ansässig sind oder aus ihm herstammen, ins Leben gerufen. Der Verein hat den Status einer « Gesellschaft ohne Gewinnzweck ». Somit steht der Verein jedem Mitbürger offen. Den Gründern ist sehr viel daran gelegen, Leute aus allen Berufen, Ortschaften und Altersklassen etwas zu bieten und sie als Mitglieder zu gewinnen.

Offen für alle Belange und alle Einwohner, resümiert sich Sinn und Wert dieser Gesellschaft in der Schaffung und Aktivierung aller zugänglichen Sparten des kulturellen Lebens.

Daraus ersieht man, daß es keineswegs darum geht, das kulturelle Leben in einer « l’art pour l’art » Atmosphäre, einem künstlerisch sterilen Raum zu fordern und zu fördern. Im Gegenteil: das kulturelle Schaffen darf – besonders in unserer Region – nicht von der sozialen und wirtschaftlichen Basis abstrahiert werden. Menschen- und wirklichkeitsnah wird die Arbeit des « Cliärrwer Kanton » bewußt sein, andernfalls sie ihren Sinn verlöre.

Weshalb eine Organisation auf regionaler Basis?

Wohl gibt es in unserer Gegend eine Anzahl Musikgesellschaften, die manchmal sehr viel leisten, es gibt Gesangvereine und einzelne Gruppen, die noch Theater spielen. Auch die Sportvereine organisieren gelegentlich durchaus annehmbare Dia- oder Theaterabende. Es ist aber kaum möglich, daß ein einzelnes Dorf oder gar eine einzelne Gemeinde mit einigen hundert oder gar tausend Einwohnern ein erweitertes Kulturangebot, das einen Vergleich mit demjenigen der größeren Zentren aushielte, zuwege bringt.

Desweiteren spielt für jene Mitbürger, die an den kulturellen Manifestationen der größeren Südgemeinden teilnehmen möchten, die Distanz in geographischer und psychologischer Sicht, eine ausschlaggebend negative Rolle, andererseits sind die einzelnen Gemeinden und ihre Sekretariate so mit Arbeit überlastet, daß von ihnen kaum andauernd kulturbezogene Impulse ausgehen können.

Abgesehen von diesen Faktoren, die ein umfassenderes Kulturangebot verhindern, sollte keineswegs übersehen werden, daß in den einzelnen Ortschaften das Publikum oft kaum ausreicht die kulturelle Arbeit auch finanziell tragbar zu machen.

Hinsichtlich der Bevölkerungsdichte und der kulturellen Ansprüche scheint es angebracht, einige Tatsachenkomplexe herauszustellen. Die weite Streuung der Bevölkerung, im Vergleich zu den dichter besiedelten Landesteilen ergibt sich aus folgenden Zahlen:
Der Kanton Clerf hat eine Oberfläche von rund 335km2. Das gesamte Land 2.587km2. – Im Jahre 1977 betrug die Bevölkerung des Kantons 10.153 Einwohner im Vergleich zu einer Gesamtbevölkerung von ca. 330.000 Einwohnern. Diese Bevölkerung ist auf 113 einzelne Ortschaften, Weiler und Gehöfte verteilt, die zusammen 3.116 Häuser begreifen. Das heißt: auf einer Fläche, die ca. 1/8 unseres nationalen Territoriums darstellt, lebt bloß 1/33 der Gesamtbevölkerung. Man kann nicht umhin zu bemerken, daß – wieder im Vergleich zum Landesdurchschnitt – die Bevölkerung extrem weit verstreut ist. Dieser Tatbestand gewinnt noch eine andere Dimension: falls man die Entwicklung der letzten Jahrzehnte betrachtet, so ergibt sich fast notwendigerweise die größte Wahrscheinlichkeit eines ungeheuren gravierenden – um nicht zu sagen – katastrophalen Bevölkerungsrückgangs. Einige diesbezügliche wissenschaftliche Analysen sprechen, ausgehend von den heutigen Gegebenheiten, von einem in etwa 2 Jahrzehnten zu erwartenden Einwohnerschwund von ungefähr 50 Prozent -falls die heutige Entwicklung sich fortsetzen sollte. Wird diese Entwicklung als unabwendbar betrachtet, so wird unsere Kleinheit zur Kleinigkeit. Jene Bevölkerung, die immerhin den achten Teil unseres nationalen Territoriums bewohnt, wird praktisch zur politischen und wirtschaftlichen Bedeutungslosigkeit verurteilt.

Die Gründe für diese Situation sind allgemein bekannt: neben dem allgemeinen Rückgang der Bevölkerung ist es vor allem eine seit Jahrzehnten andauernde « versteckte » Arbeitslosigkeit in unserer Gegend. In anderen Worten, da sehr viele Arbeitsfähige in ihrer Region keinen Arbeitsplatz finden konnten, wanderten sie ab: entweder als Pendler zwischen Wohnung und Arbeitsplatz oder aber sie suchten sich eine Wohnung in der Nähe ihres Arbeitsplatzes. Tausende von Oeslingern sind so im « Guten-Land » ansässig geworden: der Kanton war ein Menschenreservoir für bessere Regionen. Neuerdings wird der Abwanderungstrend noch verstärkt durch eine rapide (und im Grunde überaus begrüßenswerte) Entwicklung des postprimären Unterrichts: ein hoher Prozentsatz junger Menschen besucht den postprimären Unterricht; aber nur eine Minderheit dieser jungen Leute mit Abschlußzeugnis findet einen Arbeitsplatz in ihrer näheren Heimat.

Die weite Streuung der Bevölkerung über ein vergleichsweise ausgedehntes Territorium stellt primär ein großes Handicap für jede kulturbezogene Initiative dar. Angesichts der Verunsicherung der Bevölkerung hinsichtlich ihrer Zukunftsaussichten beinhaltet eine kulturelle Aktivierung einerseits ein « Trotzdem ». Vielleicht war dazu Not nötig. Andererseits wagen wir zu hoffen, daß ein etwas differenziertes, den heutigen Bedürfnissen entsprechendes, kulturelles Angebot viele junge Menschen zu bewegen vermöchte, nicht vollständig abzuwandern.

Wie dem auch sei, im Laufe der Geschichte war das Oesling, und insbesondere jene Region, die den heutigen Kanton Clerf ausmacht, nie verwöhnt. Weder in Bezug auf die mehr ökonomischen Gegebenheiten, noch hinsichtlich des kulturellen Angebotes. Der Boden war rauh und arm für die Landwirtschaft, Stein- und Schieferbrüche gaben nur einer Minderheit Arbeit, Waldarbeit und Sägewerke ebenfalls. Gerbereien florierten nur über einen relativ beschränkten Zeitraum hinweg. Der überwiegende Teil der Bevölkerung verrichtete mehr manuelle Arbeit. – Nach des Tages harter Fron bleibt manchmal weder Interesse noch Kraft für eine Betätigung auf kulturellem Gebiet, insbesondere wenn auch noch weite Wegstrecken dieserhalb zu bewältigen sind.

Diese Tatsachen machen deutlich, daß die Bedürfnisse auf kulturellem Gebiet vielleicht nicht so verbreitet sind wie in ändern Zentren und daß dadurch das Angebot an kulturellen Möglichkeiten notgedrungen sehr beschränkt war.

Wir sind aber der Meinung, daß die Arbeitszeitverkürzung und die Schnelligkeit des Informationsaustausches u.a. betont gesteigerte kulturelle Bedürfnisse hervorrufen. In diesem Sinne ist ein erweitertes Angebot unumgänglich.

Zukunftsaussichten: Kultur und Wirtschaft

Zusammenfassend stellt man fest, daß die Zukunftsaussichten unserer Gegend katastrophal erscheinen. Zweifellos sind wirtschaftliche Gegebenheiten ein wesentliches Fundament der kulturellen Betätigung.

Die immer tiefer sich einfressende Resignation in der Bevölkerung könnte einer Selbstaufgabe gleichkommen. Unser Beitrag beim Versuch eine solche Aufgabe zu verhindern, wird zu den wichtigsten Aufgaben unserer Gesellschaft gehören.

Mittelfristig oder gar auf lange Sicht kann ein kultureller Belebungsversuch wesentlich zur Bewußtseinsbildung beitragen und damit für ein seriöses Aufbäumen gegen jene Art von Notstand sorgen, die durchaus voraussehbar ist. Ein wachsendes Selbstbewußtsein dürfte einem fordernden Wiedererwachen auch auf den nicht einseitig kulturbezogenen Sektoren nicht abträglich sein. Ein Verdeutlichen und Bewußtmachen vorwiegend kultureller Werte, kultureller Eigenarten aus unserer Region, kultureller Möglichkeiten, würde ein Zeichen setzen, eine Forderung ohne welche – das sei zum wiederholten Male hervorgehoben – die Arbeit unseres Vereins ihren primären Inhalt verliert.

Eine Belebung des kulturellen Lebens ohne wirtschaftliche Wiederbelebung dürfte nur als Galgenhumor angesehen werden. Um den Notstand zu beheben, sollte man dringend eine Intensivstation schaffen, die sich sowohl mit Wirtschafts- als auch mit bevölkerungs-politischen Problemen zu befassen hätte.

Es ist allerhöchste Zeit – wenn es nicht gar zu spät sein sollte – diese Problematik zu verdeutlichen, bewußt zu machen, und diese Fragen einer positiven Lösung zuführen zu helfen.

« De Cliärrwer Kanton » wird es sich nicht nehmen lassen in dieser Perspektive Diskussionsbeiträge und Analysen über den vorgenannten Fragenkomplex zu liefern, Ideen und Vorschläge zu artikulieren, Kontakte mit den Verantwortlichen herzustellen und tunlichst zu verdeutlichen, daß eine weitgehende Solidarität aller Oeslinger nicht nur notwendig, sondern lebenswichtig ist.

Auf daß der Kanton Clerf auch in Zukunft zur Luxemburger Heimat gehöre.

Unser Arbeitsprogramm

Die moralische und finanzielle Unterstützung, die dem Verein sowohl seitens aller Gemeinden des Kantons, wie auch seitens des Herrn Ministers für kulturelle Angelegenheiten zuteil wurde, zeugt davon, daß unsere Initiative Anklang gefunden hat und notwendig ist. Wir danken vorgenannten Autoritäten herzlich für alle Hilfen in der Hoffnung auf eine fruchtbare Zusammenarbeit. Die bei unseren Bemühungen einmal erwiesene Solidarität aller Gemeinden des Kantons ist uns ein Ansporn und wird uns auch in Zukunft Ermutigung sein.

Wir legen Wert darauf, einmal festzustellen, daß unser Verein nicht die Absicht hat die Fusion der Gemeinden anzuregen oder zu verlangen. Der Verein ist darauf bedacht, sich keineswegs parteipolitisch zu engagieren.

Desweiteren sei klargestellt, daß die Gesellschaft keinen Anlaß sieht, sich gegen andere regionale Organisationen zu stellen. Im Gegenteil.

Darüberhinaus liegt es noch viel weniger in unserer Absicht, gegen die im Kanton existierenden Vereine zu arbeiten. Wir werden versuchen zusammenzuarbeiten im Blick auf unser gemeinsames Ziel.

Schließlich möchten wir betonen, daß wir keinen Anspruch auf Exklusivität erheben. Es liegt uns jedenfalls fern, von imaginären oder realen Kathedern her wirken zu wollen.

Es ist ein vorrangiges Anliegen, auch mit der Jugend und für die Jugend zu arbeiten: die Gesellschaft richtet sich in erster Linie auf die Zukunft aus.

Aspekte des Arbeitsprogramms

Das Arbeitsprogramm des « Cliärrwer Kanton », so wie es in unseren Statuten niedergelegt ist, ließe sich vielleicht auf folgende Kurzformel bringen:

Zweck des kulturellen und sozio-kulturellen Lebens das diesbezügliche einheimische Potential zu erhalten, wecken und fördern.

Der so oft gebrauchte Begriff « Kultur » sollte aber nicht in erster Linie als passives Hinnehmen oder Aufnehmen von Kulturgütern verstanden werden, sondern er bedeutet vor allem Teilnahme, d.h. Aktivierung der im einzelnen Menschen und in der Kollektivität vorhandenen Möglichkeiten. Kultur nicht nur als Distraktion sondern besonders als Aktivität des Geistes und des Körpers.

Der Verein verfolgt, gemäß Artikel 3 der Statuten folgendes Ziel:

Förderung des kulturellen Lebens im Kanton Clerf, durch:

  • Studien über die Sprache, die politische, die ökonomische, die soziale Geschichte sowie über Kunst und Architektur im Kanton Clerf;
  • Erstellung eines Registers der Archive, Artikel, Studien, Broschüren, Bücher, Photos und ähnlicher Gegenstände, die sich auf den Kanton Clerf beziehen;
  • Erwerb der Veröffentlichungen und Dokumente wie sie im vorigen Abschnitt aufgezählt sind;
  • Inventar, Konservierung, Restauration oder Auswertung des künstlerischen und architektonischen Patrimoniums des Kantons;
  • Organisation (oder Übernahme des Patronats) von Konferenzen, Kursen, Ausstellungen, Folklore-, Theater, und Musikaufführungen sowie anderer Manifestationen, welche direkt oder indirekt eine Intensivierung des kulturellen Lebens beinhalten;
  • periodische Veröffentlichung eines « Bulletin », das darauf ausgerichtet ist, den Zielen des Vereins zu dienen und den Kontakt unter den Mitgliedern zu wahren;
  • Aktionen oder Initiativen, die der Verwirklichung der Ziele des Vereins dienen, einschließlich jener, welche darauf abzielen, die administrative, die ökonomische und die pädagogische Bedeutung des Kantons Clerf zu erhalten oder zu erhöhen.

Wohlverstanden ist dieses Programm als begrenzte Arbeitshypothese aufzufassen in dem Sinne, daß nicht alle Vorhaben gleichzeitig oder gar gleich intensiv verwirklicht werden können.

Während des vergangenen Monats hat unser Verein folgende Manifestationen organisiert:

  • Presseabend in Anwesenheit aller Gemeindevertreter des Kantons;
  • eine ordentliche Generalversammlung mit Diaschau;
  • drei Diaabende mit Professor Norbert Thill;
  • eine Konferenz über den Klöppelkrieg, gehalten vom Direktor der Nationalbibliothek, Prof. Gilbert Trausch.

Im Laufe des Monats Dezember wird Herr J.E. Müller, international bekannt als Verfasser zahlreicher Werke über Malerei, einen Vortrag halten.

Anschließend an diese Konferenz wird Herr Roger Bertemes, ein aus unserer Gegend stammender weit über die Grenzen des Landes bekannter Maler, seine Werke ausstellen.

Im nächsten Frühjahr und Sommer hoffen wir unserer Bevölkerung Gelegenheit zu geben, nähere Bekanntschaft mit einheimischen Künstlern zu machen.

Ein anderer Schwerpunkt der künftigen Arbeit wird darin bestehen, Diskussionsabende über spezielle Probleme unserer Gegend mit Experten, Administratoren und Politikern durchzuführen.

Die Organisation von Kursen und Arbeitstagungen, die eine Einführung in künstlerische Techniken beinhalten, wird sich nach den von der Bevölkerung und vor allem von unserer Jugend geäußerten Bedürfnissen richten.

Darüberhinaus werden wir versuchen, naturkundliche Wanderungen unter Leitung von Spezialisten zu organisieren.

Die Erstellung einer Bibliothek mit allen uns zugänglichen Veröffentlichungen über unsere Region ist bereits begonnen. Sammlungen aller diesbezüglichen Dokumente (Schriftstücke, Zeichnungen, Photos von Menschen, Ortschaften, Landschaften) werden kontinuierlich betrieben werden. Wir hoffen all denen, die sich für unsere Gegend und ihre Probleme interessieren, und eventuell daran denken, diese besser kennenzulernen oder aber Veröffentlichungen planen, ein gutes Instrumentarium der historischen, künstlerischen, wirtschaftlichen und politischen Grundlagen anbieten zu können.

Schließlich beabsichtigt der Verein, durch die Publikation eines « Bulletins » einen Kontakt zwischen den Mitgliedern herzustellen, eine kontinuierliche Information über unsere Region zu geben und sich ein Organ zu geben, das es ermöglicht, einem breiteren Publikum geschichtliche Fakten und künstlerische Schöpfungen, die auf unsere Gegend Bezug haben, zugänglich zu machen.

Zusammenfassend soll sehr deutlich gesagt werden, daß « de Cliärrwer Kanton » in erster Linie dazu bestimmt ist, das Angebot an kulturellen Möglichkeiten in unserer Region zu erweitern und zu fördern.

Die kulturelle Betätigung ist wohlverstanden heutzutage ein wesentlicher Bestandteil der Lebensqualität der Menschen. Dieser Begriff beinhaltet gleichermaßen die wirtschaftliche Basis unseres Lebens insofern sie dazu beiträgt, dieses lebenswert, d.h. menschenwürdig zu gestalten.

Somit wird der « CLIÄRRWER KANTON » sich bemühen, konsequent auf kulturellem wie auch auf mehr soziokulturell-wirtschaftlichem Gebiet deutliche Fragen zu stellen, Gegebenheiten darzustellen und Lösungen vorzuschlagen.

In diesem Sinne möchte der Verein einen Appell an alle Oeslinger richten, ihn bei diesem Vorhaben zu unterstützen.

Es geht nicht vornehmlich um das Leben unseres Vereins – es handelt sich vor allem um die gleichberechtigte Entwicklung unserer heimatlichen Region.