Jean Jaans

Notizen zu unserer Generalversammlung vom 18. April 1986

Unsere Generalversammlung vom vergangenen 18. April war im Vergleich zu manchen Hauptversammlungen vergangener Jahre geradezu gut besucht, was ohnehin nicht bedeuten will, daß Menschenmassen im schmucken Mehrzweckbau in Holler zu registrieren gewesen seien. Aber immerhin zählt unser Verein augenblicklich knapp 1400 Mitglieder und in Holler war nun einmal eine aktive Minderheit zugegen – bei anderen kulturell aktiven Vereinigungen sind die « Besucherzahlen » bei Generalversammlungen noch viel geringfügiger. Was natürlich auch wiederum kein echter Maßstab sein kann!

Präsident Léon Braconnier dankte dem im vergangenen Monat September zurückgetretenen früheren Vorsitzenden René Maertz für seinen unermüdlichen Einsatz im Dienste des Kantons Clerf. Der Versuch einer kulturellen Belebung sei bei einer wirtschaftlich und sozial rückläufigen Entwicklung sinnlos, meinte der Präsident unwidersprochen, weshalb man hoffe und wünsche und energisch fordere, daß für die Nordspitze endlich ein Gesamtkonzept entwickelt werden, Man sei der schönen Sonntagsreden überdrüssig und man wolle auch bei den landesweiten Prioritäten nicht immer nur an zweiter Stelle stehen. In jüngster Vergangenheit wurden im Großherzogtum 35 neue Betriebe eröffnet, davon jedoch kein einziger im Kanton Clerf, dabei haben mehrere Regierungsstudien klar bewiesen, daß konkrete Maßnahmen ergriffen werden müssen, denn Situation und Evolution erfordern gezielte und spezifisch orientierte Interventionen in allen Gebieten, also durchaus nicht nur Gefälligkeits- und Alibimaßnahmen. Im Sommer 1985 wurde das Friedensgericht in Clerf endgültig und ersatzlos geschlossen, Subventionen für Schülertransporte wurden gestrichen und nicht nur gerüchteweise heißt es immer wieder, die Steuerverwaltung werde demnächst ihr Clerfer Büro wegrationalisieren. Léon Braconnier erinnerte an den Beschluß der Regierung aus dem Jahre 1983, keinen weiteren Verwaltungsabbau an der Nordspitze zu dulden, und stellte höflich formulierte, aber im Inhalt äußerst brisante Fragen: « Was denkt die Regierung zu tun, um den demographischen Aderlaß im Kanton Clerf zu stoppen? Wie steht es mit dem Bau der Straße Luxemburg – Ettelbrück? Wann wird der Anschluß an die Autobahn von Lüttich nach Sankt-Vith verwirklicht? Wann spielt die nationale Solidarität endlich auch zugunsten der Bevölkerung im Norden des Landes? »

Fragen, die für Politiker der ersten Schlachtlinie jedenfalls unangenehm und lästig sind – prinzipiell gewähren sie unseren Anliegen und Forderungen zwar recht gerne Sympathie und Unterstützung (insbesondere auch mit Herz und Hingabe in immediaten Vorwahlzeiten!), aber herausgefordert und vor die Probe aufs Exempel gestellt, sind sie doch erstrangig lieber brave konformistische Parteigänger. Das zeigte sich am Tag unserer Generalversammlung ganz deutlich im Zusammenhang mit der Abstimmung in der Abgeordnetenkammer zum verlängerten und verbesserten Wirtschaftsförderungs-Gesetz. Statt aus Enttäuschung und gerechter Abwehr gegen die in diesem Gesetz vorgesehenen geringfügigen und im Endergebnis jedenfalls weitgehend unwirksamen Förderungssätze im Kanton Clerf zu stimmen oder sich auch bloß zu enthalten vermochten die Norddeputierten einfach nicht über den parteipolitisch gefärbten Schatten zu springen und zu einer echten Solidarität im Interesse des Kantons Clerf zu gelangen. Die Abstimmung im Hohen Haus zeigte jedenfalls eindeutig, daß die Norddeputierten keine Schwierigkeiten sehen, ihren munteren Worte keine Taten folgen zu lassen…

In diesem Zusammenhang bilden Schaffen und Arbeit des interkommunalen Syndikates zur Förderung des Kantons Clerf sowie die prinzipiell beschlossene (aber noch keineswegs effektive!) Senkung des Wasserpreises zwar positive Lichtblicke, die Präsident Braconnier gebührend unterstrich, gleichzeitig dürfe man aber nicht nachlassen in geduldigen und hartnäckigen Bemühungen. Der Dank des Vorsitzenden ging an die Vorstandskollegen, insbesondere auch an Schriftleiter Alex Jacoby für Einsatz und Idealismus; die Gemeindeverwaltungen im Kanton leisten ebenfalls aktive Hilfe für die Tätigkeit unseres Vereins.

Mit bekannter Ruhe und Sachlichkeit erläuterte Sekretär Robert Schmit anschließend seinen Tätigkeitsbericht. Der Vorstand bewältigte im Vorjahr wiederum umfangreiche Verwaltungs- und Organisationsarbeit; unsere Kunstausstellungen und weitere Veranstaltungen fanden ein gutes Echo; Kontakte mit ähnlich orientierten Vereinigungen im Grenzgebiet wurden gepflegt. « De Cliärrwer Kanton » hat nun endlich am Sitz des früheren Friedensgerichtes in Clerf ein ordentliches Vereinslokal. Hauptanliegen für 1986/ 87 ist die Veröffentlichung der umfangreichen und hochinteressanten Bio-Bibliographie von Clerf, die von Professor Joseph Goedert in jahrelanger Arbeit zusammengestellt wurde.

Der bisherige Mitgliedsbeitrag von 350 F pro Jahr für Sympathiebeweis und Bezugspreis unserer Zeitschrift war nicht mehr kostendeckend, wie sich einwandfrei aus dem Kassenbericht von Schatzmeister Aly Bertemes ergab. Nach Ansicht des Vorstandes war eine fällige Anpassung nicht länger aufzuschieben und der Mitgliedsbeitrag wurde einstimmig auf 400 F pro Jahr festgesetzt; auch die von den Kassenrevisoren Meyer und Zeimes als einwandfrei bestätigte Finanzführung wurde ohne Gegenstimme verabschiedet. Im Vergleich zu den eher substantiellen Finanzbeihilfen der Gemeinden im Kanton Clerf in Höhe von 10 000 oder 14 000 oder 23 000 F sei, so wurde mit gutem Recht bemerkt, das staatliche Subsid in Höhe von 50 000 F eher bescheiden…

In einem gut durchdachten und prägnanten Vortrag analysierte der Landesgestaltungs-Experte Nicolas Momper abschließend die « Zukunftsperspektiven im Kanton Clerf ». Der Redner stellte zwei Alternativen auf der Grundlage rezenter Regierungsstudien zur Diskussion: Wenn weiterhin nichts unternommen wird, muß die Lage im Kanton Clerf sich dramatisch verschlechtern und im Jahre 2010 könnte das Nordösling bestenfalls eine Art « Nationalpark » mit dünner Besiedlung und wirtschaftlicher Bedeutungslosigkeit sein. Wenn die Luxemburger Regionalpolitik jedoch eine klare Zielsetzung verfolgt und wenn die nationale Solidarität auch hier zu konkreten Maßnahmen führt, nachdem sie sich in anderen Situationen voll bewährt hat, ist eine positive Entwicklung durchaus möglich. Flickarbeit wird hier freilich nicht genügen, die aktuellen Ansätze berechtigen vielleicht zu Zuversicht.

Eine gründliche und lebhafte Aussprache, bei welcher Pessimismus mit gedämpftem Optimismus abwechselten, beendete die von Präsident Léon Braconnier souverän geleitete Jahresversammlung. Wunder zugunsten der Nordspitze werden mit Sicherheit nicht geschehen, aber wir müssen immer wieder Zeichen setzen und unsere Anliegen unermüdlich und unverdrossen vertreten!