Léon Braconnier

Nur ein winziges, klitzekleines Pünktchen

Da sitzt der Editorialist einmal mehr vor einem noch fast weißen Blatt Papier. Ein Blatt Papier, welches berufen ist, einmal Leitartikelseite im Cliärrwer Kanton zu werden. In all den Jahren seit 1979 haben viele ernste Worte auf dieser Seite gestanden. Mahnende Worte, Aufrufe, Forderungen gar, Worte der Verbitterung vielleicht. Gelegentlich sprühte gar ein Fünkchen Hoffnung zwischen den Zeilen. Zum Feuer ist es nie gewachsen.

Ernste Worte kann man ebenfalls in den Studien und Berichten lesen, welche seit 1977 über die Nordspitze verfaßt wurden. Warnungen, Appelle an die Verantwortlichen, deutliche Worte. So deutliche Worte, daß man sie eigentlich verstehen müßte. Auch Parteibeschlüsse hat es gegeben, ja, in der Regierungserklärung hatte der Kanton den einen Platz gefunden. Aber auf der politischen Karte des Luxemburger Landes ist unsere Gegend nur ein winziges, klitzekleines Pünktchen geblieben.

Wir, die Leute vom Cliärrwer Kanton, haben uns bisher immer bemüht, einen fairen und parteipolitisch neutralen Gesprächspartner abzugeben. Auch für die Zukunft gilt dies’ Programm. Dennoch, vielleicht sind wir bislang ein zu zahmer Partner gewesen. Hätten wir unsere Proteste lautstärker formulieren müssen? Mit Transparenten auf die Straße gehen? Ja, wir hätten Unterschriften sammeln können. Hartnäckiger nachfragen und nachhaken. Keine Ruhe geben. Bissige Leserbriefe an die Tagespresse schicken. Auf das Public-Relations Pferd setzen.

Aber viele Tausend öslinger um unsere Abgeordnetenkammer zu konzentrieren scheint ein aussichtsloses Unterfangen zu sein. Da müßten schon fast alle mitkommen, die Kinder und die Alten. Und ein paar Hundert mit dem Transparent « Auch wir haben ein Anrecht auf Zukunft » hätte wohl auf die hohen Herren Volksvertreter nicht den gewünschten Effekt. Höchstens hätte unser Aufmarsch einen folkloristischen Aspekt gehabt. Die waschechtesten unter uns hätten womöglich interessante Angebote von der zuständigen Sektion im Fischmarkter Museum erhalten. Nein, Aufmärsche dieser Art werden nur nach der Teilnehmerzahl bewertet, Argumente hin, Argumente her.

Auch die Presseleute wären nicht lange für unsere Belange zu motivieren gewesen. Die Medienwelt lebt vom Geschehen, nicht vom Unbeweglichen. In der Tat würde eine Zeitung mit der täglichen Schlagzeile « IM KANTON CLERF IMMER NOCH NICHTS NEUES » wohl rapide an Leserschaft einbüßen. Nur, vor etlichen Jahren, als in Ulflingen ein Kanonenschuß die Idylle zerschoß, nahm die Presse gebührende Notiz vom Kanton Clerf und informierte ihre Leser mehrere Tage hintereinander über diese Affäre, und die Leute grinsten und hatten ihren Spaß. Ob die deutsche Kanone im Clerfer Schloßhof sich inzwischen mit ihrem amerikanischen Panzerbruder versöhnt hat, entzieht sich unserer Kenntnis. Beide scheinen aber leider nicht mehr schußtauglich zu sein.

Nun steht wieder ein größeres Projekt im Raum. Wieder einmal werden die Verantwortlichen sich in größeren Fachdiskussionen üben. Projekte im Nordösling haben es bekanntlich sehr schwer (siehe Berufsschule in Clerf). Da türmen sich die Hindernisse, und man wird nicht müde zu beweisen, wie unsinnig und schildbürgerlich es ist, im Norden Zukunftsgedanken wachsen zu lassen. Berufsverbände werden Scheinargumente zu Playdoyers aufblasen, Sachverständige werden mit A+B das Unmögliche beweisen, man wird Formfehler entdecken und Brüsseler Direktiven herbeizaubern, Experten werden für einmal einig sein, ja vielleicht wird man sogar verstehen, den Grünen eine vernichtende Stellungnahme zu entlocken. Und wenn man eine neue physikalische Kraft entdecken muß, ja eine neue Dimension, im Nordösling gelten scheinbar immer andere Gesetze. Und schon der erste Fachmann, dessen Schreibtischhürde wie eine Festung ausschaut, wird aus der Schublade eine lange Liste mit Argumenten hervorziehen, welche eindeutig klarstellen, wieso es gar nicht gehen kann. Für das Nordösling wäre es von immenser Wichtigkeit, einmal einen Experten zu finden, dessen Liste aus nur einem einzigen Argument bestehen würde. Aber ein Argument, welches sagt, wieso es gehen muß.

Alle Freunde und Leser unseres Bulletins werden hiermit aufgerufen, bei der Suche nach diesem Experten eine Hand mit anzupacken.

Wenn man hört, daß verschiedene Eltern im Kanton Clerf, nach sorgfältiger Prüfung der Situation, ihren Kindern raten müssen, die Zukunft anderswo zu planen, ihr Leben anderswo aufzubauen, so sollte dies uns allen zu denken geben. Sicher, man kann nicht von heute auf morgen, eine jahrzehntelange Evolution um 180 Grad umdrehen. Man kann aber Zeichen setzen. Und wir warten immer noch auf Ein Zeichen, Ein Zeichen, um die Hoffnung der Menschen wieder aufleben zu lassen.

Letztendlich bleibt auch immer noch die Frage, ob die jetzigen, zaghaften, fast verlegenen Versuche die Nordöslingproblematik in den Griff zu bekommen, mehr darstellen als nur oberflächliches Getue. Ob das vorgestellte Rezept zu einer Neubelebung des Hosinger Parks nicht doch aus einer gewissen Konzeptlosigkeit heraus entstanden ist. Ob die angekündigte Elektrifizierung der CFL-Nordstrecke nicht auf Jahre hinaus als Wir-tun-ja-etwas-Aktion gerade stehen muß.

Beängstigend ist allemal, wie sehr man sich dagegen sträubt, und darüber scheint Einigkeit zu bestehen, dem Kanton Clerf endlich konsequent unter die Arme zu greifen, die durch jahrzehntelange Vernachlässigung entstandenen strukturellen Mängel durch eine angemessene, prioritäre Behandlung in der Landesplanung zu kompensieren.

Ja, man scheint es gar nicht ernsthaft versuchen zu wollen.