Léon Braconnier

Feuer frei auf die Lethargie!

Viele Verantwortliche werden nicht müde, immer wieder die vielen tausend Arbeitsplätze (über 10.000 seit Regierungsantritt!) zu beschwören, welche sie der wirtschaftlich schwierigen Weltlage zugunsten der Luxemburger Heimat entrissen haben. Zugegeben, uns Nordöslingern, welche laut Regierungserklärung eine gewisse Priorität beim Schaffen neuer Arbeitsplätze genießen, wird bei solchen Parolen etwas mulmig. Richtig mulmig wird einem dann aber, wenn in der letzten Zeit eine ganze Reihe von zum Teil hochrangigen Politikern mit regelrechten Erfolgsmeldungen von der Nordöslinger Front aufzuwarten wissen. So, als ob das Soll jetzt endlich erfüllt sei, die Versprechen eingelöst. Und die Nordöslinger endlich zufrieden und erlöst aufatmen könnten. Oder müßten. Leider schlägt die Begeisterung vor Ort bisher keine Wellen größeren Ausmaßes, und auch die Erfolgseuphorie hat nur sehr wenig Anhänger gefunden. Vielleicht weil vielen Nordöslingern die Nachricht der wahrscheinlichen Installierung eines Militärlagers im nahen Bastogne doch auf den Magen geschlagen ist.

Der Maßstab zur Beurteilung von Erfolg oder Mißerfolg etwaiger Bemühungen zur Verbesserung der Lage an der Nordspitze dürfte letztendlich einzig und allein in der

Zahl der neugeschaffenen Arbeitsplätze

liegen. Arbeitsplätzen gehört nach wie vor absolute Priorität, sie sind der Dreh- und Angelpunkt der ganzen Nordöslingproblematik. Dieses wurde nicht nur von der « Commission mixte » gefordert und klar herausgestellt, auch die politischen Parteien haben dies in einer gemeinschaftlichen Erklärung vor den letzten Kammerwahlen festgehalten. Wenn auf schulischem Plan beispielsweise die Berufsschule im Kantonalhauptort doch Wirklichkeit werden soll, im Moment scheinen die Aussichten wieder etwas günstiger als letzten Sommer, ist dies natürlich ein positiver Punkt, welcher auch eine psychologisch wichtige Signalwirkung haben dürfte. Und wenn Jacques Santer und seine Regierungsmannschaft die Elektrifizierung der CFL-Nordstrecke trotz negativem Gutachten des Staatsrates und trotz dem belgischen Nein durchziehen will, ist dies eine mutige Entscheidung, welche wir natürlich begrüßen. Auf verkehrstechnischem Gebiet bleibt dennoch enorm viel zu tun. Neben dem leidigen Dauerproblem der Nordstraße sollte der Anschluß Wemperhardt-Autobahn Sankt-Vith von den Planern nicht in die Rumpelkammer verbannt werden. Den zahlreichen Pendlern, welche sich tagtäglich von Ettelbrück nach Luxemburg und umgekehrt quälen müssen, wird später wohl eine Riesenmenge Fegefeuer nachgelassen werden.

Doch was nützt es im Endeffekt, den Fächer der Ausbildungsmöglichkeiten zu verbreitern, wenn nach Schulabschluß die jungen Leute zum größten Teil ihre Region verlassen müssen? Welchen Nutzen haben letztendlich neue Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung, wenn keine Arbeitsplätze entstehen, wenn das Leben noch weiter aus den Dörfern gelaugt wird? Da wir keinen Anlaß sehen, an den offiziellen Erfolgszahlen seitens der Regierung zu zweifeln, demnach von 10.000 neugeschaffenen Arbeitsplätzen ausgehen, ist das Verhältnis gegenüber dem Kanton Clerf

10.000:0

Und alle sind sich einig, daß der Kanton Clerf dringend neue Arbeitsplätze benötigt. Dennoch, das Verhältnis beträgt zehntausend zu null. Da erübrigen sich eigentlich weitere Kommentare. Alle cherubinische Versprechen aus Luxemburg, fabelhafte Projekte, welche man hinter vorgehaltener Hand umherreichte, haben sich bisher in der Regel als Seifenblasen oder himmelblaue Sonntagsreden entpuppt. Dabei wären Durchhalteparolen zwar nicht effektiver, dafür aber aufrichtiger gewesen. Die Nordspitze täte gut daran, sich etwas mehr auf eigene Möglichkeiten und neue Initiativen zu besinnen. In diesem Sinne sollte das

Syndicat intercommunal pour la promotion du canton de Clervaux

resolut zur Sache gehen. Sich nicht auf die schon fast traditionellen Bitt-, Büß- und Klagegänge in die Hauptstadt beschränken; nicht sie werden das entscheidende Element sein. Eine solide Eigendynamik gepaart mit dem festen Willen, eine Reihe von Objektiven durchzusetzen, wäre eine adäquate Antwort auf den Mangel an Begeisterung und an Einsatz aus den Machtzentren. Als eloquente Beispiele, wie man mit Idealismus und Entschlossenheit manches erreichen kann, mögen Privatinitiativen wie Kindertagesstätte in Clerf oder « De klenge Maarnecher Festival » dienen.

« Le Canton de Clervaux », kann man in der Studie der Lausanner URBAPLAN (1978!) lesen, « doit se fixer un certain nombre d’objectifs de développement; il faut associer à ce choix un ensemble de moyens et de mesures concrètes (ensemble appelé aussi « Stratégie de développement ») qui, appliqué et défendu par tous les groupements, associations, collectivités et individus concernés doit tendre à donner au Canton de Clervaux les moyens de participer à la construction de son futur, en réduisant l’influence des facteurs extérieurs. »

So kann man in wenigen Zeilen die Essenz einer Zukunftsplanung packen, nämlich:

  1. Klare Definition der Entwicklungsobjekte, ein Konzept aufstellen, einen Gesamtplan, Prioritäten fixieren. Klare Definition der Entwicklungsobjekte heißt mit Sicherheit nicht, einen Sankt-Nikolauskomplex ausspielen und gnädig hier und dort einige Millionen verteilen. Damit sind höchstens einige Gewissen zu beruhigen, einige Canossagänge zu befriedigen. Nur über einen zeitlich definierten Gesamtplan, welcher wahrscheinlich auch den von der jetzigen Landesplanung auferlegten engen Rahmen sprengen muß, ist der Nachholbedarf unserer Gegend zu stillen.
  2. Daß der Kanton Clerf einen wesentlichen Teil zur Lösung seiner sozio-ökonomischen Probleme beisteuern muß, ist gewußt. Allerdings dürfen ihm die Möglichkeiten dazu nicht verwehrt werden.
  3. Das gemeinsame Vorgehen aller Beteiligten, das unbedingte Zusammenhalten ist ebenfalls eine wesentliche Voraussetzung zum Erfolg. Die Zukunft unserer Gegend geht uns alle an, Politiker, Vereine, Privatpersonen. Alle.

Möge das wichtige Instrument Interkommunales Syndikat sich seines enormen Potentials noch bewußter werden, seine Trümpfe voll ausspielen.

Imagination, Ausdauer, konsequentes Nachhaken und Nachfragen sind gefragt. Wir alle sind aufgerufen. Dann wird es der Lethargie an den Kragen gehen.

Es geht beileibe nicht darum, den Kanton Clerf in die Isolation treiben zu wollen, es geht aber auch nicht darum, Entscheidungen über die Zukunft unserer Gegend, welche nur sehr bedingt mit den echten Bedürfnissen übereinstimmen, immer nur passiv hinzunehmen. Dabei heißt die meist getroffene Entscheidung über die Zukunft des hohen Nordens ohnehin, Gottes Wasser über Gottes Land laufen zu lassen. Dennoch, Luxemburg, was wärest Du ohne den Kanton Clerf?

Unsere Vereinigung plant zur Zeit, seine

Aktivitäten auf kulturell-historischem Plan

zu erweitern. Sollte man uns die geeigneten Räumlichkeiten zur Verfügung stellen, kann unsere Bibliothek weiter ausgebaut und dem Publikum periodisch zugänglich gemacht werden. Wir wären sehr froh, wenn einige unserer Mitglieder uns Bücher, alte Dokumente, Fotos, Postkarten usw über unsere Gegend zur Verfügung stellen würden.

Erstrebenswert erscheinen auch organisierte Besichtigungen von bemerkenswerten Bauten und Einrichtungen in unserem Kanton; eine ganze Reihe Kirchen sind beispielsweise echte Kleinodien mittelalterlicher Baukunst. Auch hier sind Ideen und Angebote zu einer Mitarbeit willkommen.

Auch auf lokalhistorischem Plan bleibt vieles zu tun. Der Vorstand des « Cliärrwer Kanton » wäre froh, auf die Unterstützung möglichst vieler Mitglieder zählen zu können. Obwohl unsere Zeitschrift auf diesem Gebiet eine regelrechte Pionierarbeit leistet, vor allem durch die seriöse und fundierte Arbeit unserer Autoren und nicht zuletzt durch die Bio-Bibliographie von Professor Jos. Goedert, unsere zahlreiche Leserschaft birgt sicher eine wertvolle Menge Wissen über ihre Heimat, Anekdoten, Historisches, Skurriles, Tragisches. Lassen wir dieses Wissen nicht verlorengehen! Sehr gerne nehmen wir Kontakt auf mit Personen, welche vielleicht nicht in der Lage sind, ihren Beitrag schriftlich festzuhalten.

Interessenten sollten sich bitte bei der Redaktion oder einem der Vorstandsmitglieder melden.

Es sei dem Unterzeichneten an dieser Stelle noch erlaubt, auf « De klenge Maarnecher Festival » hinzuweisen, welchen die Fanfare Marnach-Roder dieses Jahr zum zweiten Mal organisiert (siehe Artikel Seite 70/71). Den Organisatoren ist es gelungen, ein äußerst interessantes und vielversprechendes Programm aufzustellen. Sicher ist, daß wohl kein Musikfreund seinen Besuch bereuen wird. Übrigens, in der klaren Höhenluft des Clerfer Kantons klingt Musik immer eine Idee besser als sonstwo…