René Maertz

Abschied von der Zukunft?

Nachlese zum 10ten Geburtstag des Vereins « De Cliärrwer Kanton »

Zehn Jahre überstanden. Durchlebt – überlebt? Anlaß, zu überdenken, was geplant und erhofft aber nicht realisiert wurde! – Zu danken aber auch für all das, was mit viel Mut, Einsatz und Arbeitskraft erreicht wurde.

Die Vereinigung « De Cliärrwer Kanton » war bei ihrer Geburt ein eher schwaches Kind, dem manche kaum Überlebenschancen zuzugestehen wagten. Bedenken und Widerstände gab es erwartungsgemäß bereits vor der Vereinsgründung. Die offenen, durchdachten Widerstände sind ja förderlich. Die verdeckten, hinterhältigen aber richten viel Wertvolles zugrunde. Sie würgen dynamische Arbeit ab. Sind da nicht Profitneurose und politische Einflußnahme im Spiel? Oder einfache Böswilligkeit? Aggressivität?

Förderung des kulturellen Lebens ohne Beachtung der katastrophalen wirtschaftlichen Lage hieße etwa das Nichts lackieren wollen.

Es mangelte wirklich nicht – über all diese Jahre – an bühnenreifen Intermezzos: virtuos zelebrierte Machtdünkel auf einer winzigen Klitsche. Darf man vor Freunden zittern?

Mehr als andere Gruppierungen lebt der Verein « De Cliärrwer Kanton » von seiner überparteilichen Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit. Waghalsige Auslegungskunststücke, so vollmundig sie auch vorgebracht werden, zerstören das Fundament, das unsere Anstrengungen trägt: das Vertrauen.

Es fragt sich, wann das einträglich lange Spiel mit dem Begriff « Norden » abgepfiffen wird. Für einige reicht der Norden von Dommeldingen bis Schmiede. Andere Dokumente sprechen wieder von dem Raum Bissen – Schmiede. Milliarden werden da hineingepumpt – an der Nordspitze sind sie meist unsichtbar.

Haben unsere Regierungen den Norden verloren? Laßt uns doch Kompaß spielen!

Die Natur hat in unserer Gegend einige glückliche Menschen gemacht: jene, die vorgeben, alles sei zum Besten in einer bestmöglichen Welt. Hier und heute scheint ihnen für morgen, heute und gestern gesorgt.

Die Straßenverbindung nach den südlichen Macht- und Industriezentren gilt ihnen als fabelhaft. Und sie fürchten durchwegs die Straßen, die in zwei Richtungen befahrbar sind. Ein Jammer, daß kaum einer, der tagtäglich diese Gegend erlebt, ihnen Glauben schenkt. Werden etwa diese Verkehrsexperten von Meistern mit Gnadenbrot gefüttert?

Die steigende Gefährdung, die bedrohliche Isolierung des Kantons Clerf verdient einige klärende Bemerkungen. Es handelt sich schlicht um den sozialen und wirtschaftlichen Niedergang, ja, den sozialen Untergang des Nordöslings.

« … ein Minimum an industriellen und tertiären Aktivitäten ist notwendig, damit der Kanton nicht nach und nach auf allen Gebieten jene kritische Schwelle erreicht, ab welcher alle Ausrüstungen und Infrastrukturen verkümmern und nicht mehr ersetzt werden. » (Text übersetzt aus der 1983 vom Staatsministerium veröffentlichten « Etude sur le Canton de Clervaux »)

« … nennen wir nur die Nordstraße, die unbedingt nötig ist, will man nicht das Ösling gänzlich isolieren und für neue Industrien völlig unattraktiv machen » (Luxemburger Wort 22.2.1989).

« … die großen Entfernungen und die mangelnden Verbindungen sind Nachteile, die schwer ins Gesicht fallen.. . » »… daß sie sich im Falle des Kantons Clerf einer regelrechten fahrlässigen Tötung schuldig gemacht hat. » (Journal).

Fast abgasfrei, beinahe menschenleer und pflegeleicht – das mag wohl die Wunschvorstellung mancher in Bezug auf den Kanton Clerf sein.

Das Problem, ja, die Herausforderung, die der Kanton Clerf den Regierenden immer eindringlicher stellt, wird durch die räumliche Entfernung zwischen der entlegensten, dünnbesiedelten ländlichen Region und dem städtischen Verdichtungsgebiet in der Hauptstadt und ringsherum angerissen. Geht diese Entwicklung ungehindert weiter, so werden die Nordöslinger in etwa zu Metöken, zu Fremden im eigenen Land. Wie schwach darf eigentlich eine Volksgruppe werden, daß man sie noch als vollwertige Luxemburger anerkennt?

Für etwa gleichwertige Lebensverhältnisse aller Bürger zu sorgen, dazu sind durch Verfassung und durch Gesetz die höchsten politischen Autoritäten verpflichtet, auch und gerade, wenn der Wandel im ländlichen Raum einen äußerst kritischen Punkt erreicht hat.

In einigen Milieus ist es beinahe unanständig, über die Nordösling-Herausforderung zu sprechen.

Man hat uns mal vorgehalten, unsere Zeitschrift « De Cliärrwer Kanton » und ihre Aussagen über die Notlage in der Nordregion zeugten vor allem von Krämergeist und Besitzstandsdenken.

Sie zeugen vor allem von Überlebenswillen: materiell und geistig. Sonst könnte man nicht so nachhaltig die Ansicht äußern, die Zeitschrift sei vor allem ein Produzent von Nostalgie. Wir trauern nicht so sehr einer Lebensart nach. Lokal- und Regionalgeschichte sind wesentliche Aspekte unserer Kultur.

Doch: ist Herkunft nicht auch Zukunft? Niemand legt seine Vergangenheit ab. « Glücklicherweise stirbt die Vergangenheit nie ganz für den Menschen. Der Mensch kann sie wohl vergessen, aber er behält sie immer in sich. Denn, so wie er selbst in jeder Epoche ist, ist er das Produkt und die Zusammenfassung aller vorhergehenden Epochen. » (übersetzt aus « La Cité antique » von Fustel de Coulanges).

Die Genesung der Nordregion hängt selbstverständlich von materiellen Gegebenheiten ab. Aber Stimmungen und Gefühle sind auch Fakten. Das Gefühl für das Entstehen der täglichen Sorgenlast, das feine Empfinden für die Glaubwürdigkeit all jener, die sich um das Wohl unserer Gegend sorgen. Vielleicht ist die Verunsicherung eines Teiles der hiesigen Bevölkerung der bedrohlichste Faktor in einer gefährlichen Lage.

Die drei Marx’schen Produktionselemente: Kapital, Arbeit und Boden sollten – wie einige Ereignisse lehren – durch einen vierten Faktor ergänzt werden: die Bereitschaft der Menschen, sich für ein lebenswichtiges Ziel einzusetzen. Die Stärke, die Lebendigkeit und die Wirkung eines solchen Engagements sind kaum abzuschätzen. Hingegen bedeuten Frustrationsstimmungen in einer passiven mutlosen Gesellschaft einfach Selbstaufgabe.

Wir müssen Mut, Phantasie, ausreichend schöpferische Kräfte entwickeln oder in uns selbst finden, sonst sind wir von vornherein verurteilt – verdammt zur sozialen Ausblutung und zum ökonomischen Absterben!

Wir sollten dem Dynamismus der Illusion huldigen. Er zeugt manchmal Wirklichkeit.

Ein « Lager » Nordösling wird wohl nicht gebaut werden. Es wird sich darum handeln, so zu denken und zu handeln, daß wir nicht an unserer eigenen Naivität zugrunde gehen.

Rein materielle Anreize genügen wohl nicht, um ein Wurzelfassen in dem Raum, wo wir geboren und aufgewachsen sind, zu gewährleisten. Eine ausgewogene Bodenständigkeit verlangt emotionale Kräfte.

Der politische Wille wird ungemein durch den öffentlichen Druck gefördert.

Man gibt manchmal das Überflüssige, um das Notwendige verweigern zu können.

Die schwierigste nichtolympische Disziplin: das DENNOCH.

Waren all die Rundtischgespräche, die Versammlungen, Reden, Gespräche, Pressekonferenzen, Presseartikel nur eine Absolution fürs Nichtstun?

Wir anerkennen durchaus, daß mehrere Projekte und einzelne Realisationen während der vergangenen Jahre entstanden sind. Diese sollten das allgemein anerkannte Ungleichgewicht zwischen der Nordspitze und dem Zentrum/Süden beseitigen.

Stellen sie bloß Flickwerk dar? Oder bestätigt ihr Stückwerkcharakter nicht überaus deutlich die Berechtigung unserer – seit nunmehr zehn Jahren – andauernd wiederholten Forderung nach einem Gesamtplan, nach einem kohärenten Gesamtkonzept, das darauf ausgerichtet werden sollte, die spezifischen Strukturschwächen des Nordkantons zu beheben und seine zunehmende Isolierung zu durchbrechen?

Seit nunmehr zehn Jahren läuft unser Vorschlag zur Erstellung eines Gesamtkonzeptes zwecks Wiederbelebung dieser wohl am meisten benachteiligten Region im wesentlichen auf folgendes hinaus:

  1. Deutliche Verbesserung der (fast inexistenten) Infrastruktur:
    Gas-Elektrizität und Wasserversorgung müßten geschaffen oder industriellen Bedürfnissen angepaßt werden.
  2. Gut ausgebaute Straßenverbindung zu den Macht- und Industriezentren sowie die Aufrechterhaltung der Eisenbahnstrecke.
  3. Schaffung von neuen Arbeitsplätzen in vernünftigem Maße.
  4. Sachgerecht definiertes « timing » dazu.

Ist die Ausarbeitung eines Gesamtplanes zur Gesundung dieser (wie es in der gemeinsamen politischen Erklärung der im Norden vertretenen Parteien – 27. Februar 1984 – heißt) « zone rurale défavorisée » von der Regierung in Angriff genommen worden? – Nein!

Auf der Ebene der Landesplanung besteht wohl betonte Vorsicht, ein brauchbares Konzept für den Norden auszuarbeiten. Und wie unendlich weit dürfte es – besonders für den Norden – von der Idee zu deren Realisation sein! Ein Konzept in wirkliche Raumförderung umzusetzen, ist bislang wenig gelungen.

Nicht die Arroganz der Macht, sondern eher Lässigkeit, fast Interesselosigkeit gegenüber den Belangen der Nordregion dürfte der Grund für das Vorsichhinschieben, das Aussitzen der Nordöslingfrage sein.

Die Forderung nach einem ausgewogenen Gesamtkonzept hat, neben dem vordergründig-materiellen Ziel, einen wesentlichen, humanitären Aspekt: das Wecken und Erhalten einer vernünftigen Hoffnung auf eine abgesicherte soziale und wirtschaftliche Zukunft für unsere Randregion. Gebt der noch vorhandenen jungen und auch der noch im Beruf stehenden Generation Hoffnung, den Sauerstoff zum Überleben!

Die stärksten Bedenken löst nicht die vorhersehbare Abnahme der Arbeitsplätze in der Landwirtschaft aus, nicht die immer bedrohlichere Vergreisung der Bevölkerung, nicht einmal der Trend zur Abwanderung, sondern die Hilflosigkeit der betroffenen Bevölkerung, die Gedankenlosigkeit mancher Leichtgläubigen, das Ausbleiben fast jeglicher Verteidigungsanstrengungen gegen die offenkundige Diskriminierung der Nordspitze.

Es spielt sich so leicht auf dem politischen Instrument der Leichtgläubigkeit, Naivität und kleinlichsten Voreingenommenheit. Dabei geht vielleicht unsere heimatliche Region verschütt.

Seit zehn Jahren werden wir nicht müde, auf die Spezifität, die Eigenart der Situation im Nordösling hinzuweisen. In der Tat stellt der Kanton Clerf die von der Hauptstadt am weitesten entfernte Region dar und ist auch klimatisch, hinsichtlich der Landwirtschaft und der Zugänglichkeit benachteiligt.

Das Klima kann man nicht ändern.

Unbestreitbar und auch unumstritten ist jedoch, daß die periphere Lage eine Anzahl gravierender Nachteile und Gefahren bringt. Eben dieser Gesichtspunkt führt zu einer äußerst heftigen und manchmal einseitigen, unfairen und nicht objektiven Debatte. Der Bau der Nordstraße ist für die einen der wesentliche Teil ihrer Zukunftschance, für die ändern blanker Unsinn: wirtschaftlich und ökologisch. Es gibt eben Leute, denen der Baum mehr bedeutet als der Mensch.

Wir sollten beide schützen!

Fällt der « Mensch » nicht auch unter den Begriff « Natur »? Im Grunde geht es vor allem darum, den Menschen im Nordösling die gleichen Entfaltungsmöglichkeiten zu geben wie den Menschen in anderen Teilen unseres Landes.

Sind die von der Regierung in Auftrag gegebenen Impakt- und Opportunitätsstudien nicht eher unter dem Aspekt einer neuerlichen Hinauszögerung der Inangriffnahme dieses Projektes zu sehen?

Aus unseren Straßenkarten ersieht man, wie gut versorgt das Land mit Autobahnen ist: nur 2 (bzw. 3) im Süden, eine (bzw. 2) im Osten, eine im Westen. Der Norden ist unversehrt.

Jenseits unserer Ost- und Westgrenze führen Autobahnen vorbei. Die Strecke Luxemburg-Brüssel kann man in ca anderthalb Stunden zurücklegen. Die Strecke Luxemburg-Nordösling erfordert oft den gleichen Zeitaufwand.

In unserer Nachbarschaft, in Belgien, sind die meisten Autobahnen gut beleuchtet. Die Autofahrten unter schwierigen Bedingungen sind dadurch sehr viel sicherer und angenehmer.

Luxemburg protzt mit einem ebenso massiven wie vehementen Wirtschaftswachstum im Jahre 1988. Verkümmert unsere winzige und ach wie schwache Nation nicht, falls die Verantwortlichen die ins Bedrohliche anwachsenden Ungleichgewichte sozialer, struktureller und wirtschaftlicher Natur nicht schnellstens beseitigen?

Beispiel: die diskriminatorische und fortschreitende Isolation des Öslings.

Laut Regierungserklärung vom 24. Juli 1984 sollte die Notlage im Süden und im Kanton Clerf prioritär beseitigt werden. Was wurde bisher realisiert?

1988 wurden im Lande 5.200 Arbeitsplätze geschaffen (3.100 davon wurden mit Ausländern besetzt) – wieviele Arbeitsplätze wurden in unserem Raum geschaffen?

Fehlt der politische Wille? Ist der lokalpolitische Druck nicht vorhanden?

Weil die Straßenverbindungen nach dem Zentrum so mühsam und gefährlich waren, sind manche Leute abgewandert, in die Nähe ihres Arbeitsplatzes. Doch nun spielt man eine (übrigens äußerst diskutable) Theorie hoch, um zu beweisen, daß eine Verbindung von einer größeren Ortschaft nach einer kleineren die kleinere stets benachteilige.

In einer Frage, wo es ums soziale Überleben einer Bevölkerungsgruppe geht, zeugt es von sehr schlechtem Geschmack, solche Argumente als Dogmen unters Volk zu bringen. Sogar die Entwicklung im Zentrum des Landes beweist das Gegenteil.

Fast wäre man versucht zu glauben, das Ösling gehöre nicht mehr zum Lande, das Luxemburg heißt.

Unser Staat hat mit Steuergeldern Institutionen von nationalem Interesse geschaffen. So das « Institut National des Sports », das Theater, Konferenzräume für Kurse und Versammlungen usf.

Viele Milliarden sind dafür aufgewendet worden. Im allgemeinen finden jedoch die Veranstaltungen während der Abendstunden statt. Sie beginnen meist zwischen 20 und 21 Uhr.

Nun fährt aber der letzte Zug in Luxemburg Richtung Ulflingen um 21 Uhr 17 ab. Die Benutzung dieses vielgelobten Transportmittels, auf das die Nordöslinger sich eigentlich, nach höchstem Willen, zu beschränken hätten, fällt also aus, es sei denn, die Veranstaltungen endeten gegen 20.30 Uhr. Dem wird aber kaum Rechnung getragen werden.

Wer einmal während der Herbst- und Wintermonate regelmäßig mit dem dafür einzig möglichen Verkehrsmittel, dem Privatauto, zu diesen und anderen Veranstaltungen gereist ist, mußte bald einsehen, wie abschreckend gefährlich diese nächtlichen Reisen bei Sturm, Nässe, Nebel, Glatteis und Schnee wurden.

Diese Tatsachen bedeuten aber, daß die Nordöslinger praktisch von der üblichen Benutzung dieser Institutionen ausgeschlossen sind. Eine beleuchtete Nordautobahn würde die Aussperrung des Nordöslings von diesen staatlichen Einrichtungen wohl beheben.

In punkto Autobahn könnte man fast sagen: der Süden bekommt alles, der Norden, den Rest. Natürlich steht es ähnlich um die Verteilung der Ministerposten.

Das primitivste Instrument jener, die dem Ösling keine Chance einräumen wollen, wird wieder hervorgeholt: der uralte Teufelskreis. Die Zahl der Einwohner sinkt, weil es keine Arbeitsplätze gibt; es sind keine Arbeitsplätze vorhanden, weil keine Arbeitskräfte zur Verfügung stehen.

Neuerdings sagen Experten: Es darf keine neuen Aktivitätszonen und somit Arbeitsplätze geben, weil keine zeitgemäße Nordstraße vorhanden ist.

Verurteilen die Studienbüros in ihren Opportunitäts-, Impakt- und anderen Papieren das Ösling etwa vor allem, weil unsere Bevölkerung sich bislang nur wenig verteidigte?

Wann endlich, Öslinger…!

Die Nordeisenbahn leistet gute Dienste. Sie ist notwendig. Für den Warenverkehr sowohl wie für den Personentransport. Insbesondere für Pendler, von denen ca 90% mit dem Privatauto zum jeweiligen Bahnhof gelangen.

Doch wie ist es zu verstehen, wenn die CFL zusammen mit den « Amis du Rail » den sogenannten « Luxemburg-Blankenberghe Express » organisiert? Obschon die Fahrt gen Norden geht, berührt dieser Zug das Ösling nicht. (Luxemburg – Minettebassin -Arlon – Blankenberghe!) Ob die CFL-Verantwortlichen so wenig an den Wert der Nordstrecke glauben?

Der von uns geforderte Gesamtplan hat sowohl das Ziel, die wirtschaftliche Zukunft des Nordöslings zu erhalten und zu fördern als auch ein glaubhaftes Signal zu setzen, daß das Ösling nicht verlassen, vergessen und verloren ist.

Das ist Aufgabe des Staates. Wir meinten, er nähme sich selbst in die Pflicht.

Zum Gemeinwesen gehören auch wir. Die Öslinger Bevölkerung sieht sich gefordert wie wohl noch nie zuvor.

Doch wer wirft den geistigen Brand ins Gefängnis der zerbrochenen Hoffnung?

An uns ist es, bei jeder sich bietenden Gelegenheit unseren festen und würdigen Willen zum sozialen Überleben zu bekunden. An uns ist es auch, die satte erschreckende Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal unserer heimatlichen Region abzulegen. Was weiß der Einwohner von der bewegten Vergangenheit, von der sozialen Entwicklung dieses Raumes? Haben wir eigentlich noch einen Anflug von Verantwortungsbewußtsein gegenüber der Mitbürgern, die mit uns im gefährdeten Boot sitzen?

Der lebendige Kontakt mit den Menschen und Dingen unserer Gegend wird diese Bewußtseinsbildung fördern.

Demokratie erfordert denkende Menschen. Sie erfordert ebenfalls einen hohen Grad an Verantwortungswillen gegenüber dem Ganzen. Suchen wir die Wahrheit in der Wirklichkeit!

Fast möchte man öfters meinen, Menschen würden sich ihrer Heimat schämen.

So sei die Frage erlaubt, ob es den regionalen Instanzen und Vereinigungen nicht angelegen sein müsste, den Einheimischen zu helfen ihre Identität zu bewahren. Sollten, müssen wir nicht alle fähig sein, uns mit Raum und Mitmensch zu identifizieren? Wir leben doch in einem einheitlich zusammengewachsenen Lebens- und Kulturraum. Nicht die Unterdrückung sondern die Förderung eines Selbstwertgefühls wird bitter notwendig sein.

Das sind einige Voraussetzungen, die unserem sozialen Raum den « Abschied von der Zukunft » ersparen werden.

Einige Beobachtungen und Überlegungen vermöchten vielleicht zu einer besseren Zukunftsperspektive beizutragen:

In manchen Ortschaften sind Straßen, Plätze und Gebäude nach einer bemerkenswerten Persönlichkeit aus der Lokal-, Regional- und Landesgeschichte benannt. Auch wichtige Ereignisse finden ihren Niederschlag in solchen Namensgebungen. Jede Gemeinde hat solche Persönlichkeiten hervorgebracht. Lernen Erwachsene wie Schulkinder das Leben dieser Persönlichkeiten kennen, so ist das wohl lebendigster, exemplarischer Unterricht über ihre und unsere Heimat.

Während einiger Jahrzehnte dieses Jahrhunderts wurde es den Schulkindern ermöglicht, junge Bäume in ihren Ortschaften anzupflanzen. Heute noch machen einige ältere Leute die « Pilgerfahrt » zum « Baum ihrer Jugend ».

Es ist erstaunlich, daß in unserer Gegend kein regionaler Radiosender angefragt oder in Betrieb genommen wurde. Wäre das nicht eine unersetzliche Gelegenheit zur Kontaktnahme und zur Bewußtseinsbildung?

Die Erstellung und das Ausleihen von Videocassetten, die sich objektiv mit der Problematik des Nordöslings auseinandersetzen, könnte ein unwahrscheinlich intensiver und lehrreicher Anstoß zum regionalen Selbstbewußtsein werden.

Es gibt gewiß noch andere Möglichkeiten, die einheimische Bevölkerung auf die Voraussetzungen für eine menschenwürdige Zukunftsperspektive aufmerksam zu machen.

Der Preis für den Aufbruch in eine gute Zukunft für das Nordösling wird hoch aber nicht unerschwinglich sein.