Léon Braconnier

Erstarrung?

« In Luxemburg haben Regierungen praktisch die Dauer einer fünfjährigen Legislatur im Parlament, und wenn denn auch noch die zwei stärksten Parteien gemeinsam im Regierungsboot sitzen, bleibt für lebendige Politik und « Spannung » und echtes Interesse des Bürgers am politischen Geschehen recht wenig Raum. Italienische Zustände sind in ihrer Labilität zwar fragwürdig, aber Stabilität kann auch zur Erstarrung werden, wobei wichtige Probleme genau wie in einem Land mit labilen Mehrheitsverhältnissen durchaus auch unter dem berühmten Koalitionsteppich verschwinden… »

Jean Jaans, Zwischen Labilität und Stabilität Luxemburger Wort, 16.08.1990, Seite 3

Zugegeben, die Situation im Nordösling mag in den Denkzentralen der Koalitionspartner beileibe kein wichtiges Problem sein und hat bisher nicht die Chance gehabt lebendige, nationale Politik zu werden. Es scheint überparteiliche Einigkeit darüber zu bestehen, die zahmen Bewohner der Nordspitze mit ihren Sorgen weitgehend allein zu lassen. Sie mit Sonntagsreden immer wieder auf morgen zu vertrösten und bei Bedarf immer wieder die gleiche Platte vom Hosinger Park und der elektrifizierten CFL-Strecke und den vielen Touristen und der schönen Landschaft aufzulegen. Ob niemand in die Gesichter der Zuhörer blickt?

Wen wundert, wenn in der Wertskala einer aufgeklärten Bevölkerung die Politiker weit, weit unten rangieren? Denn der abgegriffenen Parolen, kein Ersatz für innovative Alternativen, sind die Ohren der Zuhörer müde geworden, Desinteresse und Unglaube sind die Folge: Resultat einer längst überholten Beschwichtigungstaktik, welche vielfach Partei- und Politikerinteresse den Vorrang vor mutigem Angehen der Probleme gewährt.

Da ist das Wort ERSTARRUNG, welches der freie Luxemburger Wort-Mitarbeiter und Vorstandsmitglied des Cliärrwer Kanton Jean JAANS benutzt, erste Wahl. Nach Jahren der Studien und Resolutionen, hat sich in der Tat ein Zustand herauskristallisiert, in welchem große Anliegen wie spezifischer Entwicklungsplan oder Nordstraße sich nach belgischem Muster im Kühlschrank wiederfinden. Landesplanerische Akzente etwa, welche durch gezielte Maßnahmen die Stagnation angreifen könnten, sind bisher nicht erkennbar und man sollte sich die Frage stellen, welche Konsequenzen eintreten,

  • falls Hosinger Park und CFL-Elektrizität nicht die versprochene Relance beinhalten
  • falls trotz des vielgepriesenen Qualitäts-, nun doch unerwünschter (?) und global wenig einträglicher Massentourismus Standbein der Region sein soll
  • falls sich die Einwohnerzahl durch « Restrukturierungen » in der Landwirtschaft und durch anhaltende Landflucht noch weiter ausdünnt
  • falls sich die Lage auf dem ohnehin kargen Dienstleistungssektor weiter verschlechtert
  • falls sich den jungen Menschen weiter der unausgewogenste Arbeitsmarkt unseres Landes präsentiert
  • falls der Bau der Nordstraße und der Anschluß an das internationale Autobahnnetz weiter verschlafen werden?

Die Sorge um die Zukunft des Clerfer Kantons findet auch in den Medien kaum noch Beachtung, und wenn einmal vom Nordzipfel des Landes die Rede ist, dann lassen die Halli-Hallo-Feste grüssen. Von nah und fern strömen dann Tausende herbei, um mitzuerleben, bei Mettwurst und Bier, wie es damals war (wobei Unterzeichneter keineswegs den bildenden und historisch wertvollen Charakter einer Vorführung ehemaligen Handwerks z.B. schmälern will). Aber es geht darum, allen Kräften, welche an den Hebeln sitzen, auch und besonders einheimischen, klar zu machen, daß das periodische Ins-Rampenlicht-Zerren des Öslings mit mehr oder weniger wertvollen Eintags-Organisationen, keineswegs einen dauerhaften, positiven Effekt für ein Wiederbeleben der Region beinhaltet. Ja, es scheint, als ob dieser oder jener, nachdem er das Nordösling eine weitere Runde auf dem Nostalgie- und Folklorekarussel hat drehen lassen, sich von weiterem Engagement für unsere Region freigesprochen fühlt.

Das Wie-es-damals-war-Klischee heftet man mit Vorliebe an das Ösling. So laufen wir jahrzehntelang törichten, von manchereinem immer wieder schlitzohrig ins Spiel gebrachten Assoziationen hinterher, lähmend für angepaßte Initiativen, tötend für neue Perspektiven. Kein Teufelskreis der Fatalität, sondern gewelltes und durchdachtes Taktieren. Hausbackene, Kost übelster Art, aber durchaus erfolgreich, wie man sieht.

Umso bemerkenswerter sind ehrliche Bemühungen, vielfach von privater Seite angeregt oder realisiert, welche auf das brachliegende Potential des ländlichen Raumes setzen. Falls sich zudem verschiedene Prognosen bewahrheiten sollten, z.B. jene, welche andeutet, daß in Zukunft immer mehr Menschen ihren Job zu Hause ausüben werden (dank moderner Kommunikationstechniken), werden mit einem Male die Karten neu gemischt sein. Natürlich werden die Ballungsgebiete von heute kaum veröden, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit wird sich ein gesünderes Gleichgewicht einpendeln.

In einem « Die Neubelebung und Entwicklung des ländlichen Raumes » betitelten Artikel von Jean Altmann (Lux. Wort 14.08.1990, Seite 3) heißt es:

« In Bezug auf die Zukunft des ländlichen Raumes muß nach Auffassung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften die Politik der ländlichen Entwicklung mehr denn je auf die örtlichen Bedürfnisse und Initiativen, insbesondere auf Ebene der kleinen und mittleren Unternehmen eingehen, und die Nutzung des endogenen Potentials bevorzugt fördern.

Endogene ländliche Entwicklung, so die Beurteilung der Kommission in der Beilage 4/88 des « Bulletins der Europäischen Gemeinschaften » kann nicht rein autozentrische Entwicklung bedeuten, sondern vielmehr optimale Nutzung des gesamten Potentials der jeweiligen ländlichen Region: Natur und Landschaft, spezifische Qualitätsprodukte von Landwirtschaft und Forstwirtschaft, gastronomische Spezialitäten, kulturelle und handwerkliche Tradition, innovative Ideen, Arbeitskräfteangebot, bereits vorhandene Industrien und Dienstleistungsunternehmen und vieles mehr. Hierzu müssen die in der Region vorhandenen finanziellen und menschlichen Mittel mobilisiert und von außen die fehlenden Mittel – Kapital oder Dienstleistungen im Bereich Planung und Beratung – hereingekommen werden. Die endogene ländliche Entwicklung fördern bedeutet also nicht, grundsätzlich jegliche Ansiedlung gebietsfremder Wirtschaftstätigkeit auszuschließen. Im Gegenteil:

Dort, wo die Ansiedlung gebietsfremder Wirtschaftstätigkeiten möglich ist und die Integration in das ländliche Umfeld behutsam vorgenommen wird, kann diese Lösung für die Beschäftigung und für die Einkommen wertvoll sein. »

Diese Worte mögen unseren Lesern bekannt erscheinen, sind sie doch Bestätigung so mancher Forderung, Resolution oder Studie usw. die unsere Vereinigung mitgetragen hat.

Und immer mehr tragen solch bestätigende Worte die Gesichter von Mahnworten.