Léon Braconnier

Danke, Herr Außenminister

Es scheint, als ob der Jahrtausendwechsel mit einem rasanten, wenn auch beäng-stigenden Wandel einhergeht. Dies gilt in vielen relevanten Bereichen wie Politik und Wirtschaft, aber auch in der Banalität des Alltages.

Jahrzehntelange Allianzen stehen plötzlich auf dem Prüfstand. Das alte Europa hat, zwar leider nicht geschlossen, dem großen Bruder die Stirn geboten. Nun spielen der Mann im weißen Haus und sein resoluter Kriegsminister beleidigt. Ob am Ende das wirtschaftlich stärkere und bevölkerungsreichere Europa nicht weiter den willigen Juniorpartner spielen will? So oder so, Gespräche unter Freunden sollten sich durch Ehrlichkeit, Offenheit und Fairness auszeichnen. Bedenklich ist allemal, dass die Führungsmannschaft der Vereinigten Staaten mit milliardenver-schlingender Kriegsmaschinerie Weltpolitik nach eigenem Gusto gestaltet. Nun können Gigaflugzeugträger und mehr oder weniger präzise Raketenbomben aber keine vernünftige Weltpolitik ersetzen. Die Einteilung der Nationen in Gut und Böse, mit Sicherheit doch etwas zu simpel! Auch die peinlichen Auftritte im UNO-Sicherheitsrat vor dem längst beschlossenen Krieg, Lügen, Erpressungsversuche, Drohgebärden, Zuckerbrot und Peitsche, wahrlich keine diplomatischen Glanzlichter!

Waffenpotenz als Ersatz für Argumente, Diskussion und Diplomatie?

Operettenreife Inszenierungen mit viel Pathos und Uniform mit dem Zweck, dürf-tige Aussagen zu übertönen, Kriege der Neuzeit als tolles Medienspektakel. Die Show der militärischen Supermacht! Sorgfältig gefiltert und zensiert, aber in Dolby-Digital. Mögen manche Waffen Hi-Tech-Label tragen, am Grauen, das sie säen, hat sich leider nichts geändert. Im Gegenteil. Heere von verstümmelten Opfern, darunter viele Kinder, sind Zeugen. Stumme Zeugen, und wahrlich ein-flussarme.

Modernen Krieg gibt es nicht, Krieg ist immer unmodern.

Gewalt darf, wenn überhaupt, nur allerletztes Mittel sein. Und Politik, die sich auf militärische Gewaltandrohung stützt, gehört in den Abfalleimer der Geschichte. Eine Geschichte, in der die Gier nach Macht und Einfluss allerdings immer ein kräf-tiger Motor war. Leider!

Immer größere Kreise zeichnet das Gespenst der Gewalt auch in unseren Alltag. Hochkonjunktur für Rambos. So verwechseln viele, und nicht nur jüngere, den Führerschein mit Waffen- und Jagdschein. Landstraßen werden zum Revier, das ganzjährig geöffnet ist. Wer sich noch halbwegs an Tempolimits hält, wird erbar-mungslos gejagt, gehetzt, bedroht. Stoßstange an Stoßstange: da wallt das Adrenalin. Auch viele motorisierte Zweiräder, die eh über jeder Geschwindigkeitsbegrenzung zu stehen scheinen, fliegen lärmend, meist in Rudeln, über den heißen Asphalt. Morgens meistens noch gemütlich dahinfahrend, entpuppen sich auf der Heimfahrt tausende von Lieferwagen zu tickenden Zeitbomben. Dass da die Brummis nicht abseits stehen wollen, versteht sich von selbst. Tonnenschwere Mastodone, gar mit Anhänger, legen sich ins Zeug, die Mittellinie des öfteren nicht als Trenn-, sondern als Zielstreifen. Und wem jemals, etwa zwischen Maulusmühle und Clerf, ein solcher Bolide auf der eigenen Fahrbahn entgegengerast kam, weiß, wovon er spricht.

Dass die Raserei beileibe keine Männerdomäne mehr ist, beweisen leider, immer zahlreicher, die Frauen. Oft sehr jung, und, warum nicht, mit qualmendem Glimmstengel, auf der Suche nach dem ultimativen Kick. Denn spannend ist es allemal zu ergründen, ob das Wägelchen die Kurve auch noch mit zehn weiteren Stundenkilometern packt.

Besonders an den Wochenenden wird des Nachts das Ösling zunehmend zum beliebten Ausgehparadies für die Kids. Unsere netten Kleinen, MTV- und Vivagetunt, hält’s nicht zu Hause, wenn Disko, Ball oder Zeltfest rufen. Nach dem obligaten Sicherheitscheck darf man dann ins lärmende Chaos. Schade, dass die tüchtigen Securitymannen nicht den Kontakt mit Drogen und vor allem mit Alkohol verhindern. So ist es keineswegs selten, dass 12-13jährige so besoffen und vergiftet sind, dass sie mit starrem Blick und fahler Haut problemlos in jeder Soap den Komatoten spielen könnten. « Unsere Tochter trinkt ja nur Limo », sagen die gutgläubigen Eltern in völliger Unkenntnis. Die meisten Feuerwasserproduzenten sind längst dabei, sogenannte Softdrinks mit Hochprozentigem zu versetzen. Schaut aus und schmeckt fast wie Limo, hat aber einen relativ hohen Alkoholanteil. Trendig, eben! Wie viele Kinder und Jugendliche allwöchentlich mit Alkohol und Drogen in Berührung kommen liegt im (gewollten?) Dunklen. Dass aber der ungesunde Mix aus Spiritus, Tabak, Amphetaminen und Lärm ernste Dauerschäden hinterlässt, steht außer Frage. Selbstverstümmelung auf Raten. Was hilflose Ärzte, Sanitäter und Polizei berichten, kann einem die Haare zu Berg stehen lassen. Wer aber hat den Mut einzuschreiten?

Gutgemeinte Kampagnen, wie die klugen « Insider « -Broschüren der « Fondation Luxembourgeoise contre le cancer » sind in Wirklichkeit verzweifelte Versuche, den Kampf gegen die Allmacht von Alkohol, Tabak, Drogen und Dummheit aufzuneh-men. Zahlreiche Kinder und Jugendliche, darunter auffallend viele junge Mädchen, greifen fast trotzig zur Zigarette. Fast die Hälfte, nämlich 45 % der 15 – 24jährigen waren im Jahre 2002 Raucher (Ilres Studie im Auftrag oben erwähnter Stiftung, Luxemburger Wort 31.05.2003), Tendenz seit den 90er Jahren steigend.

Warum wohl glauben so viele junge Menschen ausgerechnet immer das Verkehrte? Die vermeintlich so aufgeklärte Generation, manipuliert, missbraucht, ausgenutzt, nicht sie wirkt cool und clever, wohl aber Industrie und Handel…!

Mag sein, dass es nie viel anders war. Die Erfahrung, sagt ein chinesisches Sprichwort, ist ein Kamm ohne Zähne. Aber in Zeiten medialer Großmacht ist die Gefahr vermutlich bedrohlicher denn je. Pessimistische Worte vielleicht, aber wenn die Weltgemeinschaft weiter zuläßt, dass unschuldige Kinder, Frauen, Männer durch Krieg, medizinische Unterversorgung und Hunger elend zu Grunde gehen, ist das ja nun wirklich nicht erbaulich. Und ein nicht zu unterschätzendes, unheil-volles Signal an die jungen Leute!

Menschenleben, auch in diesem Jahrtausend nichts wert.

In diesem Sinne war die Intervention des französischen Außenministers im UNO-Sicherheitsrat einige Tage vor Kriegsausbruch im Irak bemerkenswert und durch-aus ermutigend. Kein diplomatisches Herumeiern, nein, es waren klare Aussagen eines intelligenten Mannes. Sätze im Geist dessen, was der Menschheit in diesen Zeiten heilig sein sollte. Worte ganz im Sinne von Edward Steichens « Family of Man ». Die Worte haben ein humanistisches Zeichen gesetzt. Waren Sauerstoff in einer von Gewalt bedrohten Welt. Danke Dominique de Villepin!